Auf dem Vormarsch

Spezifische Therapie der Lipoprotein(a)-Hyperlipoproteinämie von Romy Langhammer und Ulrich Laufs, Leipzig ... hier geht es direkt zum e-Paper inkl. aller Abbildungen Frau Hebig1 ist 45 Jahre alt, als sie im Supermarkt einen akuten Myokardinfarkt erleidet. In der notfallmäßigen Koronarangiografie wird ein Verschluss des Ramus interventricularis anterior im mittleren Bereich nachgewiesen und mittels Implantation eines drug-eluting stent rekanalisiert. Nach Stabilisierung der Patientin rückt das Screening nach kardiovaskulären Risikofaktoren in den Vordergrund. Hier fällt neben einem Nikotinabusus (ca. 30 pack years) ein erhöhtes Lipoprotein(a) von 239 nmol/l (<75 nmol/l gelten als physiologisch) auf. Wie kann bei dieser jungen Patientin neben der gängigen medikamentösen Sekundärprophylaxe das Risiko weiterer kardiovaskulärer Ereignisse suffizient gesenkt werden?Diese Frage blieb gerade hinsichtlich der bei Frau Hebig diagnostizierten Lipoprotein(a)-Hyperlipoproteinämie bisher unbeantwortet. Bei dieser Fettstoffwechselstörung handelt es sich um eine primär genetisch bedingte Erkrankung, die mit einem erhöhten Risiko für Atherosklerose und kalzifizierende Aortenklappenstenose assoziiert ist. Die besondere Struktur des Lipoprotein(a) (Lp(a)) – es besteht aus einem LDL-ähnlichen Partikel und einem hohen Anteil an oxydierten Phospholipiden, an welches das pathognomonische Apolipoprotein A kovalent gebunden ist – bedingt eine dreifach pathogene Wirkung mit proatherogenem, prothrombotischem und proinflammatorischem Wirkprofil (Abbildung 1) [1]. Mit steigenden Lp(a)-Serumkonzentrationen nimmt auch das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen zu. Die epidemiologische Metaanalyse mehrere Studienpopulationen ergab, dass bei einem Lp(a)-Wert oberhalb der 75. Perzentile das Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse um fast zwei Drittel höher ist [1].  Der aktuelle Versorgungsstandard Infolge dieser Erkenntnisse empfiehlt die 2019 von der European Society of Cardiology (ESC) und der European Atherosclerosis Society (EAS) herausgegebene Leitlinie für das Management von Dyslipidämien eine einmalige Testung auf eine Lp(a)-Hyperlipoproteinämie bei jedem Menschen zu erwägen, um Personen mit einem relevanten genetischen Atherosklerose-Risiko zu identifizieren [2]. Insbesondere bei Patienten mit prämaturer Manifestation ist die Lp(a)-Bestimmung für ein Familien-Screening wichtig. Die Behandlung der Lp(a)-Hyperlipoproteinämie stellte bisher eine Herausforderung dar. Da der Lp(a)-Serumspiegel zu >90 % genetisch determiniert ist, haben Lebensstiländerungen keinen relevanten Effekt. Statine, welche bei Lipidstoffwechselstörungen meist als First-Line-Therapie eingesetzt werden, können sogar zu einem geringen Anstieg der Lp(a)-Konzentration führen. PCSK9-Inhibitoren senken Lp(a) um 20–25 %. Eine Lp(a)-Reduktion in der Größenordnung von 20–40 % ist vermutlich nicht ausreichend, um klinische Ereignisse substanziell zu vermindern (Tabelle 1) [3]. Vor dem Hintergrund dieser Datenlage wird in der aktuellen ESC-Dyslipidämie-Leitlinie eine optimale Senkung des LDL-Cholesterins für Pa­tien­ten mit erhöhten Lp(a)-Werten empfohlen [2]. Primär kommen dafür Statine zum Einsatz. Bei einem unzureichenden Effekt kann die Therapie um Ezetimib und einen PCSK9-Hemmer erweitert werden. Da keine zugelassene, spezifische Therapie der Lp(a)-Hyperlipoproteinämie zur Verfügung steht, ist das Ziel dieses Vorgehens die Senkung des lipidabhängigen kardiovaskulären Risikos, nicht die Senkung des Lp(a) per se. Im Falle eines Progresses der Atherosklerose trotz optimaler Therapie kann als Ultima Ratio die Lipoprotein-Apherese eingesetzt werden. Auch hier ist die Lp(a)-Senkung im Mittel über die Zeit für viele Patienten nicht sehr groß. Bezüglich des kardiovaskulären Effekts liegt keine Evidenz aus randomisierten kontrollierten Studien vor. Beobachtungsstudien wiesen auf eine Verbesserung des kardiovaskulären Risikos hin – allerdings unter Inkaufnahme möglicher Komplikationen und einer relevanten Lebensqualitätseinschränkung [4]. Ein neuartiges Therapieprinzip Konventionelle lipidsenkende Pharmakothera­peutika scheiterten bisher an einer spezifischen Lp(a)-Senkung, da Lp(a) keine klassischen Angriffspunkte wie enzymatische Aktivitäten oder Bindung an Rezeptoren bietet. Ein völlig neuartiges Behandlungsfeld wurde mit der Entwicklung RNA-basierter Therapien eröffnet. Diese zielen auf eine Inhibierung von messenger RNA (mRNA) für die Translation pathophysiologisch wirksamer Proteine – beispielsweise dem hepatisch synthetisierten Apolipoprotein A – ab. Im Bereich der Lp(a)-Hyperlipoproteinämie befinden sich aktuell zwei verschiedene Wirkmechanismen in der Erprobung: Antisense-Oligonukleotide (ASO) sind einzelsträngige Moleküle aus 15–30 Nukleotiden, die die mRNA zur Translation von Apolipoprotein A irreversibel binden oder ihre Fragmentierung einleiten. Eine zweite Gruppe der RNA-Medikamente sind die doppelsträngigen, aus 21–23 Nukleotiden pro Strang bestehenden small interfering RNAs (siRNA). Während ein Strang als Träger fungiert, bindet der andere durch seinen komplementären Aufbau die Ziel-mRNA und leitet ihre Degradierung ein. Eine Besonderheit besteht darin, dass eine siRNA über einen prolongierten Zeitraum aktiv ist und somit multiple mRNAs spalten kann. Beide Wirkstoffe sind an einen leberspezifischen Liganden gebunden, der eine zielgerichtete hepatische Aufnahme ermöglicht [5].Erste Studienergebnisse Die Wirksamkeit und Sicherheit der siRNA AMG 890 befindet sich aktuell in der Phase-II-Erprobung an 240 Patienten. Die Entwicklung der ASO ist weiter vorangeschritten. Eine Phase-II-Studie des Antisense-Oligonukleotids AKCEA-APO[a]LRx legte vielversprechende Zahlen vor [6]. Anhand von 286 Patienten mit manifester Atherosklerose und einer Lp(a)-Serumkonzentration von >150 nmol/l wurde das Präparat in verschiedenen Dosierungen (Gabe subkutan) gegen Plazebo getestet. Dabei wurde eine Lp(a)-Reduktion von bis zu 80 % bei einem günstigen Nebenwirkungsprofil erreicht. Seit Dezember 2019 werden Patienten im Rahmen der Phase-III-Erprobung Lp(a)HORIZON rekrutiert. Bis 2024 wird der Einschluss von insgesamt 7.680 Probanden angestrebt. Die Zulassung einer ersten Lp(a)-spezifischen Therapie wird nach Abschluss dieser Studie erwartet.  Fazit Die Lipoprotein(a)-Hyperlipoproteinämie ist eine ernstzunehmende, mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und kalzifizierende Aortenklappenstenose assoziierte Fettstoffwechselerkrankung. Eine erste spezifische Therapie auf Grundlage einer RNA-basierten Hemmung der Translation von Lipoprotein(a)-Partikeln hat bereits signifikante Ergebnisse geliefert und befindet sich aktuell in der Phase-III-Erprobung.  Im Fall von Frau Hebig steht therapeutisch eine Sekundärprophylaxe mittels der etablierten, leitliniengerechten Medikation – inklusive einer suffizienten LDL-Senkung und absoluten Nikotinkarenz – im Vordergrund. Ihr Einschluss in die Lp(a)HORIZON-Studie wird seitens der Patientin und ihrer behandelnden Ärzte angestrebt.      Referenzen:Tsimikas S. A test in context: lipoprotein(a). J Am Coll Cardiol 2017; 69: 692–711.Mach F, Baigent C, Catapano AL et al. 2019 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk. Eur Heart J. 2020; 41: 111–88.Albers JJ, Slee A, O’Brien KD et al. Relationship of apolipoproteins a-1 and b, and lipoprotein(a) to cardiovascular outcomes. J Am Coll Cardiol 2013; 62: 1575–9.Waldmann E, Parhofer KG. Apheresis for severe hypercholesterolaemia and elevated lipoprotein(a). Pathology 2019; 51: 227–32.Katzmann JL, Packard CJ, Chapman MJ et al. Targeting RNA with antisense oligonucleotides and small interfering RNA. J Am Coll Cardiol 2020; 76: 563–79.Tsimikas S, Karwatowska-Prokopczuk E, Gouni-Berthold I et al. Lipoprotein(a) reduction in persons with cardiovascular disease. N Engl J Med 2020; 382: 244–55.1 Name geändert Bild Copyright: Shutterstock / Illus_man Lesen Sie diesen und weitere spannende Beiträge zur Lipidologie im e-Paper !  Autor:           Dr. med. Romy Langhammerromy.langhammer@medizin.uni-leipzig.de              Prof. Dr. med. Ulrich Laufsulrich.laufs@medizin.uni-leipzig.de              aus connexiplus 4-2020 KARDIORENALE ACHSENephrologie, Diabetologie, Kardiologie, Lipidologie, Biomarker, Ernährung      Titelbild Copyright: Shutterstock / AlexRoz, Shutterstock / Maria Averburg, Shutterstock / 3Dstock, Shutterstock / Sebastian Kaulitzky. Gestaltung: Jens Vogelsang    
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