Bericht aus Berlin − zwischen DÖAK und dagnä-Workshop
Anja Lamprecht
Interview dagnä aktuellBericht aus Berlin − zwischen DÖAK und dagnä-WorkshopInterview mit Robin Rüsenberg Das Jahr 2019 wird für die HIV-Medizin ein Meilenstein! Nach Inkrafttreten des sogenannten Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TVSG) im Mai, in dem auch die Präexpositionsprophylaxe (PrEP) als Kassenleistung verankert ist, sind zahlreiche Details zu regeln und zu vereinbaren, um die PrEP in die Praxis zu implementieren. Der Prozess ist in vollem Gange, am 1. September 2019 sollte alles unter Dach und Fach sein. connexi sprach während des 9. Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongresses im Juni in Hamburg über anstehende Entscheidungen zur Umsetzung des TVSG, zu lösende Probleme und Fortschritte bei der Verbesserung der Versorgungsqualität mit dem Geschäftsführer der Deutschen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter e. V. (dagnä) Robin Rüsenberg. Hohe Aufmerksamkeit in Ihrer gegenwärtigen Arbeit kommt nach Inkrafttreten des TVSG am 11. Mai der Umsetzung der gesetzlich verankerten PrEP als Kassenleistung zu. Jetzt stehen die Verhandlungen für Regelungen im Bundesmantelvertrag an. Sind Sie zuversichtlich, dass es zu für Patienten und Ärzte praxistauglichen Vereinbarungen kommen wird? R. Rüsenberg: Mit dem TVSG ist der gesetzliche Anspruch auf die PrEP geschaffen worden, ein großer Fortschritt! Jetzt geht es um die Umsetzung. Aktuell laufen die Verhandlungen zwischen dem GKV-Spitzenverband und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zu den konkreten Details: Wer hat Anspruch auf die PrEP, wer wird behandeln und, nicht ganz unwichtig für einen Schwerpunktbehandler, wie wird der Extraaufwand honoriert? Die Bundesmantelvertragspartner müssen jetzt zu praxistauglichen Regeln kommen. Eine passende Blaupause: Der Selektivvertrag der dagnä mit der AOK Nordost zur HIV/STI-Prävention, der am 1. Mai 2019 in Kraft getreten ist. Nach welchen Kriterien werden die noch offenen Fragen entschieden, z. B. wer künftig anspruchsberechtigt ist? Werden bei den Verhandlungen die Interessen aller Beteiligten ausreichend berücksicht? R. Rüsenberg: Das Gesetz bringt klar zum Ausdruck, dass bei den Verhandlungen die Deutsch-Österreichische Leitlinie für die PrEP als Vorbild dienen soll. Darin ist genau definiert, wer von der PrEP profitiert und wer sie bekommen sollte. Jetzt gilt es abzuwarten, was die Verhandlungen bringen, es ist ja im deutschen Gesundheitswesen klassischerweise so, dass die Vertragspartner die Regeln festlegen. Auf einen sinnvollen Rahmen kommt es jetzt aber an, damit die PrEP ein Erfolg wird. Daran wird die Selbstverwaltung gemessen. Dr. Baumgarten von der dagnä sagte, „auf den nächsten Schritt kommt es jetzt besonders an, damit die PrEP ein Erfolg wird“. Wie kann sich die dagnä in diesen Prozess des Gesetzgebungsverfahrens hinsichtlich noch anstehender Detailentscheidungen einbringen? R. Rüsenberg: Die PrEP ist für die dagnä schon seit langem Thema, ich nenne nur die gemeinsame Forderung mit der Deutschen AIDS-Gesellschaft (DAIG) und der Deutschen Aidshilfe (DAH) aus dem Jahr 2016 oder der von uns mit initiierte Checkpoint BLN. Wir standen während des TSVG-Gesetzgebungsprozesses mit unserer Expertise beratend zur Seite, selbstverständlich gilt das auch für die Detailverhandlungen des Bundesmantelvertrages. Und nicht zuletzt der bereits erwähnte Selektivvertrag der dagnä mit der AOK Nordost zur HIV/STI-Prävention: Dieser gibt auch für die PrEP sinnvolle Impulse. Für den Bundesmantelvertrag ist er geradezu eine Fundgrube, „copy & paste“ ausdrücklich erwünscht! Sie sprechen es an: Schon vor der bundesweiten GKV-PrEP gehen dagnä und AOK Nordost neue Wege. Damit stärkt erstmalig eine Krankenkasse die STI-Prävention. Wie kam es zu dieser Kooperation zwischen der dagnä und der AOK Nordost? R. Rüsenberg: Leider war in der Vergangenheit das Interesse von GKV und PKV an der PrEP, sagen wir mal, überschaubar. Umso mehr begrüßen wir, dass mit der AOK Nordost – mit der wir schon früher zur Hepatitis C gut zusammengearbeitet haben – eine große Krankenkasse bereit war, in einem Selektivvertrag ein sehr gutes Versorgungsprogramm zu vereinbaren. Es geht aber nicht nur um die HIV-PrEP, sondern das Programm nimmt auch andere STIs in den Blick. Wenn wir damit den Bundesmantelvertragspartnern ein Beispiel geben können – sehr gerne. Aber der Vertrag soll auch für sich selbst stehen. Und natürlich freuen wir uns, wenn einzelne Krankenkassen bereit sind, mit konkreten Maßnahmen zu handeln. Was erwarten Sie hinsichtlich der Anpassung des EBM? Wird der Bewertungsausschuss das „Gesamtpaket PrEP“ inklusive Beratungsleistungen bezüglich der Vergütung angemessen berücksichtigen? R. Rüsenberg: Prognosen sind immer schwierig – das gilt für die Zukunft, aber auch für den EBM. Klar ist: Die PrEP bringt erheblichen Mehraufwand in der Praxis, dieser muss dann auch adäquat finanziert werden. Das liegt auf der Hand. Im HIV-Bereich gibt es ja bereits gute und sinnvolle Lösungen, die Pate stehen könnten. Wichtig wird auch sein: Wer sind die spezialisierten Ärzte, die die „GKV-PrEP“ anbieten können? Denn: Es braucht eine bedarfgerechte, flächendeckende PrEP-Versorgung. Und die steht und fällt mit der sinnvollen Umsetzung im Bundesmantelvertrag, die Vergütung ist ein Teil davon. Grundsätzlich ist die zu erwartende Inanspruchnahme schwer zu prognostizieren. Wir brauchen also eine Art „atmendes System“, um den regional unterschiedlichen Gegebenheiten vor Ort gerecht zu werden. Das TSVG sieht eine Evaluation der PrEP-Einführung vor. Das ist absolut positiv. Wird die dagnä in diesen Evaluationsprozess eingebunden sein? Wie können Sie sich da einbringen? R. Rüsenberg: Das Bundesgesundheitsministerium hat die gesetzlich vorgeschriebene PrEP-Evaluation im Mai öffentlich ausgeschrieben. Ziel ist, die Einführung der PrEP zu begleiten und die Wirkungen auf das Infektionsgeschehen wissenschaftlich zu erheben. Wir begrüßen diese Evaluation – und ja, wir haben, zusammen mit Partnern wie dem Robert Koch-Institut, unseren Hut in den Ring geworfen. Wir verfügen ja über einige Erfahrung in der HIV-Versorgungsforschung. Noch ist aber keine finale Entscheidung des Ministeriums erfolgt. Thema des Symposiums, das die dagnä beim DÖAK in Hamburg unterstützte, war „Versorgungsforschung und Gesundheitspolitik“. Welche Daten sind aktuell nutzbar, um politische Signale an Entscheidungsträger zu senden? R. Rüsenberg: Versorgungsforschung bringt optimalerweise nicht nur wissenschaftliche, sondern auch politikberatende Erkenntnisse: Auf dem DÖAK haben wir zu zwei dagnä-Forschungsprojekten berichtet: Zum einen zur kürzlich abgeschlossenen PROPHET-Studie, die repräsentativ für Deutschland Therapieerfolg und Krankheitskosten verschiedener Primärtherapiestrategien abbildet. Sie zeigt den Erfolg der ambulanten HIV-Schwerpunktversorgung: Verbessertes medizinisches Outcome und gleichzeitig wirtschaftlicher Mitteleinsatz. Zum anderen läuft gegenwärtig die FindHIV-Studie, die bis 2021 das Phänomen Late Presenter eingehend untersuchen und Lösungsoptionen erarbeiten wird. Aber wir sind noch ganz am Anfang, die strategische Phase, in der es auch um Handlungsempfehlungen geht, kommt erst zu einem späteren Zeitpunkt. Das Forschungsprojekt wird durch den GKV-Innovationsfonds gefördert. Es handelt sich dabei um eine erneute Kooperation unter anderem mit dem Lehrstuhl für Medizinmanagement an der Universität Duisburg-Essen. Was gab und gibt es sonst noch Neues von der dagnä in Berlin zu berichten? R. Rüsenberg: Aktuell haben wir natürlich zunächst den traditionellen dagnä-Workshop „vor der Brust“ – zum mittlerweile 29. Mal, wie immer in Köln. Auch dort wird die PrEP eine Rolle spielen, aber nicht nur: Wie gewohnt, greift der dagnä-Workshop aktuelle Entwicklungen auf – an dieser Stelle seien nur einige Themen genannt: Was gibt es Neues bei HIV in Verbindung mit onkologischen Erkrankungen? Welche HIV-Strategien sind zukunftsträchtig? Was brachte die IAS 2019 in Mexiko? Was muss zum weiteren Abbau von Stigmatisierung und Diskriminierung geleistet werden? Die Arbeit der dagnä für eine Versorgung auf Höhe der Zeit ist facettenreich. Es gibt medizinische wie versorgungspolitische Herausforderungen, die uns beschäftigen: Wichtig wird sein, die qualitativ sehr gute Versorgung für HIV-Patienten in Deutschland zu sichern und weiterzuentwickeln. Vielen Dank für dieses Gespräch. Mit Robin Rüsenberg sprach Elke Klug Bild Copyright: Adobe Stock / DanBu.Berlin, Adobe Stock / detshana, Adobe Stock / magann Im Gespräch mit: Robin Rüsenbergruesenberg@dagnae.de aus connexi 6-2019 AIDS und HEPATITISMünchner AIDS und Hepatitis Werkstatt 2019, DÖAK 2019 in HamburgKongressberichte Titelbild Copyright: ???? Gestaltung: Jens Vogelsang