Herausforderungen in der HIV-Therapie

Bessere Verträglichkeit, neue Applikation, innovative Substanzenvon Jürgen K. Rockstroh, Bonn   Bei rechtzeitigem Beginn einer antiretroviralen Therapie lässt sich heute eine Normalisierung der Lebens­erwartung bei minimaler Toxizität und Belastung für die Patient*innen erreichen. Damit ist bei einer nachgewiesenen und bestätigten HIV-Infektion grundsätzlich eine Behandlungsindikation gegeben. Durch Substanzen nahezu ohne Nebenwirkungen und neue Darreichungsformen der ART kann die Lebensqualität der Patient*innen noch weiter verbessert werden.  Moderne antiretrovirale Therapie Ziel der antiretroviralen Therapie (ART) ist es, durch die Hemmung der HIV-Replikation infektionsbedingte Symptome zu unterdrücken und eine Krankheitsprogression zu verhindern. Gleichzeitig kommt es zu einer Rekonstitution der zellulären Immunität und einer Reduktion der chronischen Immunaktivierung mit ihren resultierenden Entzündungsprozessen. Als Folge lässt sich bei rechtzeitigem Beginn der ART (bevor die Helferzellen unter 200 absolut/µl abgefallen sind oder gar AIDS-definierende Ereignisse aufgetreten sind) eine Normalisierung der Lebenserwartung bei minimaler Toxizität und Belastung für die Patient*innen erreichen [1]. Große internationale Studien zur Frage des optimalen Therapiebeginns haben eindrücklich zeigen können, dass sich selbst bei sehr früher Therapie (also noch kompensiertem Immunsystem und Helferzellen >500 absolut/µl) ein Vorteil hinsichtlich des Auftretens von AIDS-definierenden Erkrankungen, aber auch nicht AIDS-definierenden Malignomen ergibt, so dass heutzutage eine nachgewiesene und bestätigte HIV-Infektion grundsätzlich eine Behandlungs­indikation darstellt [2]. In den meisten Fällen ist die HIV-Therapie mit einfachen Fixdosiskombinationen mit einer Tablette am Tag möglich. Damit hat sich Prognose und Perspektive der HIV-Patienten dramatisch verbessert. Trotz aller Fortschritte stellen jedoch Langzeitnebenwirkungen der Therapie oder aber auch unmittelbar nach Einleitung einer HIV-Therapie entwickelte Nebenwirkungen weiterhin eine Herausforderung im therapeutischen Management der Patienten dar.  Verschiedene Studien haben jetzt auf eine vermehrte Gewichtszunahme insbesondere unter TAF und/oder nicht geboosterten Integrasehemmern hingewiesen [3, 4]. Dabei scheint das Risiko insbesondere bei afrikanischen Frauen erhöht zu sein. Möglicherweise führt dies vermehrt zur Ausbildung eine Metabolischen Syndroms oder Diabetes, so dass entsprechende Gewichts-Verläufe unter antiretroviraler Therapie am besten genauestens dokumentiert werden sollten. Deswegen bleibt die Entwicklung besser verträglicher Substanzen unverändert von großem Interesse.   Neue Darreichungsformen der ART Unter Berücksichtigung der lebenslangen Notwendigkeit einer HIV-Therapie kommt der Patienten-Adhärenz für die Beibehaltung des Therapie­erfolges eine große Bedeutung zu. Wegen der lebenslangen Behandlung, aber auch aus Gründen des weiter mit HIV assoziierten Stigmas, wünschen sich viele Patient*innen eine weitere Therapievereinfachung, gern auch als intramuskuläre Injektion alle vier oder noch besser acht Wochen. Die Patienten, die an entsprechenden Studien teilnehmen, geben eine deutlich verbesserte Lebensqualität an, weil sie nicht jeden Tag durch eine Tablette an ihre HIV-Infektion erinnert werden.  Im Bereich der Substanzen mit langen Halbwertszeiten und der Möglichkeit einer intermittierenden Gabe befinden sich verschiedene Substanzen in Entwicklung. Für 2020 wird die Zulassung von Cabotegravir/Rilpivirin zunächst als vierwöchentliche Spritze erwartet. Es bleibt jedoch eine initiale orale Lead in-Phase, um erst einmal eine gute Verträglichkeit abzusichern. Die Implementation von vermehrter Injektionsbehandlung im HIV-Bereich bringt auch logistische Herausforderungen mit sich.  Es gibt aber auch Implantate in Erprobung (ähnlich wie Hormonimplantate, die bereits vielfach zur Verhütung eingesetzt werden), die möglicherweise ganz neue Darreichungsformen für die HIV-Therapie ermöglichen werden.   Salvage-Medikamente Für Patienten aus der langen Geschichte der HIV-Medikamentenentwicklung mit multiplem Therapieversagen unter ungenügend supprimierenden Regimen in der Vergangenheit ist natürlich die Zulassung von neuen Substanzen von größter Bedeutung. Hier sind insbesondere Entry-, Attachement- und Capsid-Inhibitoren zu nennen. Hierbei dürfte insbesondere der CD4-Antikörper Ibalizumab eine Rolle spielen, dessen Zulassung erwartet wird. Ibalizumab bindet selektiv an die Domäne 2 (D2) des CD4-T-Zellrezeptors. Dies hat eine Konformationsänderung des Rezeptor-gp120-Komplexes zur Folge. Dadurch werden die Fusion und das Eindringen des HI-Virus verhindert. Ibalizumab gehört damit ebenso wie der Fusionsinhibitor Enfuvirtid (Fuzeon®) und der CCR5-Antagonist Maraviroc (Celsentri®) zur Klasse der Entry-Inhibitoren, die in einer vor kurzem veröffentlichten Studie ein überraschend gutes virologisches Ansprechen, auch bei Vorhandensein vielfacher Resistenzen und keiner weiteren aktiven Substanz in der Salvagetherapie, aufgezeigt haben. Hier konnte bei über 50 % der Teilnehmer*innen die Viruslast unter die Nachweisgrenze gebracht werden, was Hoffnung macht für Patient*innen, die dringend auf neue Substanzen angewiesen sind.   Take home Auch in der Situation der medikamentös beherrschbaren HIV-Infektion sind emsige Forschungstätigkeiten im HIV-Bereich zu erkennen, und es darf angenommen werden, dass spannende Forschungsergebnisse in diesem Bereich auch in 2020 zu erwarten sind. Dazu gehören neben neuen Darreichungsformen auch neue Substanzen und Medikamentenklassen. Die Frage nach HIV-Therapie assoziierten Gewichtsveränderungen wird das „hot topic“ 2020 bleiben.    LiteraturGueler A, et al.; Swiss HIV Cohort Study, Swiss National Cohort. Life expectancy in HIV-positive persons in Switzerland: matched comparison with general population. AIDS. 2017;31:427−436.INSIGHT START Study Group, et al. Initiation of Antiretroviral Therapy in Early Asymptomatic HIV Infection. N Engl J Med. 2015;373:795−807.Venter WDF, et al. Dolutegravir plus Two Different Prodrugs of Tenofovir to Treat HIV. N Engl J Med. 2019;381(9):803−815.Sax PE, et al. Weight Gain Following Initiation of Antiretroviral Therapy: Risk Factors in Randomized Comparative Clinical Trials. Clin Infect Dis. 2019 Oct 14. Epub ahead of print Aufmacherbild Copyright: Shutterstock / New Africa  Autor:           Prof. Dr. med. Jürgen K. Rockstrohjuergen.rockstroh@ukbonn.de              aus connexi  3-2020 INFEKTIOLOGIEAIDS und Hepatitis, Covid-19      Titelbild Copyright: Science Photo Library / James Cavallini, mauritius images / BSIP / James Cavallini, Shutterstock / iconriver Gestaltung: Jens Vogelsang   
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