Herzinsuffizienz

Die Multisystemerkrankung Herzschwäche erfordert interdisziplinäre Ansätze Die chronische Herzinsuffizienz (cHI) ist eine der häufigsten Erkrankungen unserer Zeit. Betroffen sind vor allem ältere Menschen. Die Ergebnisse einer Prävalenzstudie zeigten eine deutliche Zunahme der HI-Prävalenz in der letzten Dekade sowie ein hohes Maß an Multimorbidität der Patienten [1]. Den dringenden Handlungsbedarf bei der Entwicklung neuer diagnostischer Methoden und Therapieoptionen zeigt auch die Tatsache, dass zunehmend jüngere Leute Risikofaktoren aufweisen.  Rund drei Millionen Menschen in Deutschland leiden an Herzinsuffizienz, die mit einer drastischen Einschränkung ihrer Lebensqualität verbunden ist. Prävalenz und Krankheitskosten steigen kontinuierlich. Dieser deutliche Zuwachs kann primär auf die demografische Alterung der Bevölkerung zurückgeführt werden. So nahm die Zahl der Menschen mit HI im Alter von mindestens 75 Jahren zwischen 2009 und 2017 um 24 % zu, die Anzahl im Alter von mindestens 90 Jahren stieg sogar um 60 %. Auffallend ist zudem eine unterschiedliche regionale Verteilung der Erkrankungshäufigkeit, die vor allem auf erhebliche Unterschiede in der Altersstruktur der Bundesländer zurückgeführt wurde. Diese Erhebungen, so kommentieren die Autoren der Prävalenzstudie des Versorgungsatlas des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland (Zi), verdeutlichen eine große Herausforderung für die zukünftige medizinische Versorgung, um die lebensbedrohliche, das Gesundheitssystem enorm belastende Erkrankung einzudämmen.Strategie: Eng vernetzen, gezielt forschen, besser versorgen Um den gestiegenen Anforderungen zukünftig gerecht zu werden, gibt es in Deutschland verschiedene Initiativen und Projekte, die zur Verbesserung der flächendeckenden bedarfsgerechten Versorgung von HI-Patienten beitragen sollen. Herausragende Beispiele sind Herzinsuffizienz-Netzwerke und -Einheiten Bereits 2016 hat die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz und Gefäßchirurgie (DGTHG) Empfehlungen für den Ausbau von HF-NETs vorgelegt, die modular auf den verschiedenen Versorgungsebenen in „Heart Failure Units“, d. h. HFU-Schwerpunktpraxen/-ambulanzen, HFU-Schwerpunktkliniken sowie überregionalen HFU-Zentren organisiert sind und damit überprüfbare Qualitätsmerkmale für die sektorenübergreifende Versorgung von HI-Patienten aufweisen. Das dazu vorgelegte Positionspapier wurde von der Kommission für Klinische Kardiologie mit Vertretern von DGK, DGTHG sowie des Bundes Niedergelassener Kardiologen (BNK) und der Arbeitsgemeinschaft Leitender Kardiologischer Krankenhausärzte (ALKK) erarbeitet. Es formuliert die Voraussetzungen,die von den modularen HFUs im HF-NET für eine Zertifizierung erfüllt sein sollen. Es wird angestrebt, stationäre Module unterschiedlicher Versorgungsintensität und Module für die strukturierte poststationäre Langzeitbetreuung zu verzahnen. Somit ist die bedarfsgerechte Patientenversorgung nach aktuellem Wissensstand, die das individuelle medizinische und soziale Umfeld der Patienten berücksichtigt, lückenlos gewährleistet.  Ziele der HF-NETs sind zum einen die Etablierung eines strukturierten Entlassmanagements, das die Kommunikation zwischen Patienten, Angehörigen und Hausärzten effektiver gestalten soll, damit drohende Dekompensationen besser erkannt und früher therapiert werden können. Zum anderen soll in den Netzwerken zusätzlich zur hausärztlichen Versorgung eine ambulante spezialfachärztliche, wenn nötig multidisziplinäre Mitbetreuung und längerfristige Anbindung an spezialisierte Versorgungseinrichtungen forciert werden. Auch die engere Kooperation von ärztlichen und nichtärztlichen Leistungserbringern wird gefördert. Durch diese Maßnahmen kann die Langzeitprognose herzinsuffizienter Patienten deutlich verbessert werden. Mittlerweile haben sich bundesweit bereits zahlreiche solcher regionaler Netzwerke organisiert, es gibt 32 überregionale HFU-Zentren, 37 HFU-Schwerpunktkliniken sowie 46 zertifizierte HFU-Schwerpunktpraxen (Stand 25.3.2020) [2]. Das Deutsche Zentrum für Herzinsuffizienz (DZHI)  mit Sitz in Würzburg erforscht und therapiert in einem ganzheitlichen Ansatz die Systemerkrankung Herzinsuffizienz samt ihrer Begleit- und Folgeerkrankungen. Dabei setzt das Zentrum auf interdisziplinäre Spitzenforschung, die im DZHI und Universitätsklinikum Würzburg eine unmittelbare praktische Anwendung findet. Das Zentrum integriert Grundlagenforschung, klinische Forschung und Patienten-Behandlung zum Thema Herzschwäche unter einem Dach. Die Forschung am DZHI basiert auf den vier Säulen Bildgebung, Genetik, Translationale Forschung sowie Klinische Forschung und Epidemiologie. Aktuell untersucht beispielsweise die laufende STAAB Kohortenstudie (Klinische Forschung und Epidemiologie) [3] die Häufigkeit und Einflussfaktoren auf frühe Stadien A und B der Herzinsuffizienz in der Bevölkerung. Es handelt sich um ein Kooperationsprojekt zwischen dem DZHI und dem Institut für Klinische Epidemiologie und Biometrie (IKE-B) der Universität Würzburg. Ziel ist ein besseres Verständnis des Kontinuums beim Übergang und Progress einzelner Stadien der Erkrankung in seiner gesamten Bandbreite. Der Gesundheitszustand der Teilnehmer soll möglichst über viele Jahre beobachtet werden, um den natürlichen Verlauf der Stadien longitudinal zu beschreiben. Insgesamt wurden 5.000 zufällig ausgewählte Einwohner im Alter zwischen 30 und 79 Jahren der Studienregion Würzburg bis Oktober 2017 in die STAAB-Studie eingeschlossen. Seit Dezember 2017 läuft die erste Nachuntersuchung aller Probanden. Erste Zwischenergebnisse der Studie zeigen, dass auch immer mehr Personen bereits im jüngeren Lebensalter Risikofaktoren haben. In zahlreichen weiteren klinischen Studien werden die Ergebnisse aus der experimentellen Forschung geprüft, neue Wirkstoffe, Geräte und Therapien sowie auch alternative Versorgungsmöglichkeiten getestet. Wissenschaftsdisziplinen wie die Kardiologie, die Neurologie, Psychiatrie, Biologie und die Physik arbeiten Hand in Hand und bilden eine interdisziplinäre Plattform, auf der sich die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch bietet. Eine wichtige Datengrundlage für die weitergehende Forschung schafft das DZHI zudem mit dem Aufbau von Patientenregistern und einer speziellen Herzinsuffizienz-Biobank für Blut-, Gewebe- und DNA-Proben. Das DZHI pflegt zahlreiche nationale und internationale Kooperationen in verschiedenen Netzwerken. Interdisziplinäre Kooperationen werden landes-, bundes- und weltweit durch die aktive Mitarbeit des DZHI gepflegt: Hauptziel ist die stetige Verbesserung und Ausweitung klinischer Vernetzungen zwischen Klinik, kardiologische Praxen sowie Hausärztinnen und -ärzten. Das DZHI hat dafür mehrere Versorgungsmodelle auf den Weg gebracht, die bundesweit zunehmend übernommen werden. Zu den Zielen mehrerer wissenschaftlicher Netzwerke zählt vor allem Ressourcen in nationalen und internationalen Kooperationen zu bündeln und den Nachwuchs zu fördern, ebenso wie die Etablierung von Qualitätsstandards.  Das DZHI als Mitglied in zahlreichen Fachgesellschaften für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Herzinsuffizienz-Fachbereichen vertritt auch standespolitische Interessen, fungiert als sachverständiger Ansprechpartner und legt allgemeine Leitlinien und Standards fest.Zudem haben in Selbsthilfegruppen oder Herzsportgruppen – direkt vor Ort oder virtuell − viele Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz die Möglichkeit sich zusammenzufinden, um Informationen auszutauschen, sich körperlich zu betätigen oder auch um auf dem neuesten Stand zu bleiben [4].  Telemed5000  Dieses Projekt zielt darauf ab, ein intelligentes System zur telemedizinischen Mitbetreuung von mehreren tausend kardiologischen Risikopatienten in der integrierten Versorgung zu entwickeln, da aktuelle Kapazitäten eines einzelnen Telemedizinzentrums nicht ausreichen, um große Patientengruppen adäquat zu betreuen. Deshalb geht die Charité – Universitätsmedizin Berlin mit ihren deutsch-österreichischen Konsortialpartnern aus Wirtschaft und Wissenschaft neue Wege: Mithilfe der Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz, wie deep-learning und dem Internet of Things, soll eine Systemlösung entwickelt werden, die das Management großer Patientenzahlen in der Regelversorgung technisch möglich macht.  Telemed5000 baut auf der fünfjährigen Fontane-Studie der Charité auf. Diese hatte erstmals nachgewiesen, dass die telemedizinische Mitbetreuung das Leben von Herzpatienten verlängern kann und diese weniger Tage im Krankenhaus verbringen. Sie ist gleichermaßen für Patienten im ländlichen Raum und in Metropolregionen geeignet. Anfang dieses Jahres starteten die Charité und die BARMER im Rahmen dieses Projekts eine Kooperation. Zur telemedizinischen Versorgung erhalten die Patienten vier Messgeräte: ein Elektrokardiogramm (EKG), ein Blutdruckmessgerät, eine Waage sowie ein Tablet zur Selbsteinschätzung des Gesundheitszustands. Über das Tablet werden die Vitalwerte via Mobilfunk automatisch an das Telemedizinzentrum der Charité übertragen. Ärzte und Pflegekräfte bewerten die übertragenen Messwerte 24 Stunden täglich an sieben Tagen in der Woche und reagieren bei einer Verschlechterung der Werte. So werden beispielsweise die Medikationen angepasst, Empfehlungen für einen ambulanten Arztbesuch oder eine Krankenhauseinweisung gegeben. „Die Einhaltung des Datenschutzes sowie die datenschutzkonforme Verarbeitung der Daten haben höchste Priorität, um zu jedem Zeitpunkt die Datenschutzgrundsätze zu gewährleisten und die Rechte der Personen zu schützen”, betont Prof. Dr. Friedrich Köhler, Leiter der Kardiovaskulären Telemedizin und Studienleiter Fontane.Zwischen dem Kardiovaskulären Telemedizinzentrum der Charité und den regulär betreuenden Haus- und Fachärzten der Patienten gibt es eine feste Kooperation, die sowohl bei Veränderungen als auch bei regulären ambulanten Vorstellungen über den medizinischen Verlauf des Patienten durch das Telemedizinzentrum informiert werden [5, 6]. Diese wenigen Beispiele, auch die DGK als Fachgesellschaft mit ihren zahlreichen Aktivitäten und Beteiligung an vielen Projekten soll hier nicht unerwähnt bleiben, verdeutlichen, wie verschiedenste Akteure in Deutschland zum wissenschaftlichen Fortschritt und zur kardiologischen Patientenversorgung beitragen. Einen wesentlichen Beitrag im Kampf gegen die Volkskrankheit Herzinsuffizienz leistet mit hohem Engagement auch die pharmazeutische Industrie. Ohne deren Forschungsarbeit und die Entwicklung neuer Medikamente kämen grundlagenwissenschaftliche und klinische Forschungsergebnisse der universitären Medizin kaum bei den Patienten an.      Referenzen: Holstiege J, Akmatov MK, Steffen A, Bätzing J. Versorgungsatlas-Bericht Nr. 18/09. Berlin 2018. DOI: 10.20364/VA-18.09.https://www.DGK.orghttps://www.med.uni-wuerzburg.de/epidemiologie/projekte/klinische-epidemiologie/staab/https://www.dzhi.dehttps://telemedizin.charite.de/forschung/telemed5000/https://www.telemed5000.de  Aufmacherbild Copyright:  Science Photo Library / Roger Bick, Brian Poindexter, UT Medical School     aus connexiplus 2-2020 KARDIORENALE ACHSE INTERDISZIPLINÄRKardiologie, Nephrologie, Diabetologie, Lipidologie, Biomarker sowie Ernährung       Titelbild Copyright: Shutterstock / AlexRoz, Shutterstock / Maria Averburg, Shutterstock / 3Dstock, Shutterstock / Sebastian Kaulitzky. Gestaltung: Jens Vogelsang     
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