Kardiologie 2019 in Deutschland

Kardiologie 2019 in Deutschland Interview mit Prof. Dr. Stephan Baldus, Köln  Kardiovaskuläre Inflammation, einer der Schwerpunkte der 85. Jahrestagung der DGK 2019, gewinnt für das Verständnis von Herz-Kreislauf-Erkrankungen immer mehr an Bedeutung. Entzündungsprozesse sind ein sehr komplexes und großes, aber bei weitem nicht das einzige Feld für kardiologische Forschung. Darüber und weitere aktuelle Herausforderungen für das Fachgebiet sprach  mit dem Tagungspräsidenten Univ.-Prof. Dr. med. Stephan Baldus vom Herzzentrum der Universität Köln.   Der Rosengarten drohte in diesem Jahr aus den Nähten zu platzen, knapp 9.000 Teilnehmer kamen nach Mannheim. Was macht die Faszination dieses Kongresses aus?Prof. Baldus: Das Besondere dieses größten deutschsprachigen Kongresses für unser Fachgebiet ist, dass es gelungen ist, über die Jahre die unterschiedlichsten Aspekte, die die Kardiologie bietet, unter einem Dach zu bündeln. Dass es kein ausschließlich fortbildungsorientierter Kongress ist mit einem klassischerweise etwas älteren Publikum oder ein rein wissenschaftlicher Kongress mit primär jungen Teilnehmern, sondern dass es eine gute Mischung ist. Unser Fach lebt ja von der sektorenübergreifenden Versorgung. Andererseits haben wir aber auch einen großen Forschungsschwerpunkt. Das Faszinierende ist, dass wir es geschafft haben, diese unterschiedlichen Interessensgruppen hier zu vereinen. Wie ist es aktuell bestellt um den Nachwuchs in der Kardiologie?Prof. Baldus: Ganz besonders freue ich mich, dass wir den wissenschaftlichen Nachwuchs und viele junge Leute für unser Fach begeistern konnten und sie in so großer Zahl auf dem Kongress zu sehen sind. Die Erhöhung der Attraktivität unseres Faches für die jungen Medizinerinnen und Mediziner ist ein wesentlicher Schwerpunkt unserer Arbeit. Das heißt, wir versuchen für unseren Nachwuchs möglichst viel Raum zu schaffen. Wir haben eine Gruppe junger Kardiologen, die sehr aktiv sind und das auch sichtbar machen. Sie bieten eigene Fortbildungsveranstaltungen an und haben dieses Symposium sehr gut organisiert. Unser Anliegen ist, dass wir ihnen eine Plattform geben zu interagieren, aber auch ein breites Angebot sich fortzubilden und ihre eigenen Forschungsergebnisse zu präsentieren. Zum anderen geht es aber auch darum, sie frühzeitig in die aktuellen praktischen Herausforderungen des Faches zu integrieren und ihnen zu zeigen, welche die Zukunft bereithält. Denn wir brauchen die junge Generation nicht nur kurzfristig, sondern es sind diejenigen, die das Fach wissenschaftlich voranbringen und dann in Zukunft auch die klinische Versorgung gewährleisten müssen.Worin sind 2019 in der Kardiologie für Patienten die größten Fortschritte zu verzeichnen?Prof. Baldus: Wir sind gerade Zeugen eines Paradigmenwechsels in der kathetergestützten Behandlung von Herzerkrankungen, insbesondere von Herzklappenfehlern. Deutschland ist hier in führender Position. Dieses Therapieverfahren ist ein Highlight, was wir weiterentwickeln müssen für die wesentlichen Herzklappen, die Aorten-, die Mitral- und die Trikuspidalklappe. Zum einen für Patienten, die keine andere Möglichkeit der Therapie haben. Aber wie wir jetzt zunehmend sehen, sicher auch für Patienten, für die dieses Verfahren möglicherweise besser ist als die bisher primär angewandte chirurgische Methode.Also auch Low-Risk-Patienten?Prof. Baldus: So muss man die Daten zum gegenwärtigen Zeitpunkt einordnen. Das ist jedoch ein noch nicht abgeschlossenes Kapitel, aber die Zahlen, die wir aktuell zur Verfügung haben, sind sehr ermutigend und lassen es möglich erscheinen, dass das in Zukunft der Fall sein wird. Zwei unabhängige Studien belegen zumindest schon jetzt überzeugend, dass die interventionelle Therapie auch bei niedrigem Risiko mindestens genauso gut, wenn nicht sogar besser ist als der chirurgische Aortenklappenersatz.Das Kongressmotto 2019 war „Kardiovaskuläre Inflammation“. Es hat offenbar Durchbrüche gegeben, was das Verständnis dieser Mechanismen betrifft und eventuelle Konsequenzen für neue therapeutische Ansätze. Worum geht es dabei?Prof. Baldus: Wir haben in den letzten 20 Jahren gelernt, dass die Arteriosklerose keine tote, rein mechanisch zu verstehende Erkrankung ist, bei der das Gefäß nur an Elastizität verliert. Wir wissen jetzt, es ist eine aktive, durch Entzündung propagierte Erkrankung. Diese Inflammation macht die Erkrankung im Wesentlichen aus. Deshalb gewinnen Entzündungsprozesse z. B. für das Verständnis der Arteriosklerose, der Funktionsstörung von Herzmuskelzellen, für Herzklappenerkrankungen und die Entstehung von Arrhythmien kontinuierlich an Bedeutung. Medikamentös erreichen wir die Entzündungszelle als Ziel noch nicht. Das einzige, was wir attackieren ist das Cholesterin mit einem Cholesterinsenker. Aber 40 % aller Herz-Kreislauf-Ereignisse sind nicht erklärt durch solche etablierten Risikofaktoren. Die Entzündung hat damit ein sehr hohes Potenzial die fehlenden 60 % besser zu behandeln. Wir haben auch bereits erste Hinweise, dass es funktioniert, z. B. mit Antikörpern gegen Zytokine, die erstmals zeigen, dass man durch eine solche Therapie auch Herz-Kreislauf-Ereignisse reduzieren kann. Heißt das, die Immunmodulation ist jetzt in der Kardiologie angekommen?Prof. Baldus: Ja, sie ist insofern angekommen, als dass es eine erste klinische Studie gibt. Wir haben eine Fülle von experimentellen Daten, aber wir müssen noch besser werden. Das Fatale ist, dass die Firma, die das Präparat entwickelt hat, dieses Projekt trotz der positiven Studien­ergebnisse jetzt nicht weiter verfolgt. In einer Subanalyse hatte man gesehen, dass es zu einer signifikanten Reduktion von Krebserkrankungen kommt. Nun wird in dieser Richtung weiter geforscht und leider nicht mit Fokus auf kardiovaskuläre Erkrankungen.Welche Rolle kann zukünftig eine Impfung als Therapie für atherosklerotische Erkrankungen spielen?Prof. Baldus: Dahinter steckt die Idee, dass man das Immunsystem nicht nur verteufelt als Me­diator/Initiator der Erkrankung, sondern dass man die Autoantigenität vermittelnden Zellen in ihrer Aktivität dämpft. Man könnte fehlgeleitete Reaktionen des erworbenen Immunsystems auf körpereigene Stoffe, beispielsweise Lipoproteine, vielleicht durch eine Impfung in den Griff bekommen. Das ist ein spannendes und faszinierendes Forschungsfeld, was allerdings, das muss man sagen, bisher nur im Tiermodell untersucht ist. Es wird noch lange dauern, ehe daraus therapeutische Konzepte entstehen.Gibt es etwas Neues zur medikamentösen Therapie von Herz-/Kreislauferkrankungen zu berichten?Prof. Baldus: Wie gesagt, antiinflammatorische Strategien fehlen uns, noch. Und ich muss konstatieren, dass auch insgesamt im Bereich der medikamentösen Therapie der Atherosklerose, der Herzinsuffizienz oder auch der Arrhythmien noch zu wenig an translationaler Forschung stattfindet. Das müssen wir vorantreiben. Es kann nicht sein, dass die gesamte pharmazeutische Innovation an unserem Fach vorbei geht. Kein Highlight, nichts geschafft, worauf die Kardiologen in der breiten Versorgung lange gewartet haben?Prof. Baldus: Nun ja! Hier ist der PCSK9-Inhibitor als additives Therapiemodul für die Behandlung der Hypercholesterinämie zu nennen; Sacubitril/Valsartan als ein Medikament, was die Behandlung der Herzinsuffizienz ein wenig effektiver gemacht hat, aber einen „Durchbruch“ im Sinne eines völlig neuen Therapieregimes haben wir nicht. Das zeigt den immensen Bedarf an kardiologisch orientierter Forschung, um die hohe Sterblichkeit zu senken.Über viele Jahre war in der Kardiologie, mit genau diesem Ziel die Sterblichkeit zu senken, die Prävention d a s Thema. Erreicht man die Patienten mit den Appellen noch oder sind sie schon „immun“ gegen die Aufforderung ihren Lebensstil zu verändern?Prof. Baldus: Die Prävention ist selbstverständlich auch weiterhin zentrale Aufgabe. Körperliche Aktivität, Gewichtskontrolle, Rauchabstinenzprogramme, Programme zur Konstanz der Einnahme von Medikamenten. Die positiven Effekte der Prävention stehen außer Frage. Aber, es ist zu kurz gesprungen, wenn das die einzige Strategie in unserem Fach ist, denn damit adressieren wir nicht sämtliche Probleme. Wichtig wäre die Krankheitsursachen besser zu verstehen und gezieltere Medikamente entwickeln. Einem Patienten, der eine genetische Ursache seiner Herzinsuffizienz hat, dem nützt es, wenn er sich körperlich bewegt. Aber die Ursache seiner Erkrankung und letztendlich auch die genaue Kenntnis, wie man ihn behandeln muss, um das molekulare Problem zu beseitigen, sind damit nicht geklärt.Der DGK-Präsident Prof. Katus beklagte in seiner Eröffnungsrede eine „gewisse Forschungsmüdigkeit“ in der Kardiologie. Woran liegt das?Prof. Baldus: Es ist eine Tatsache und das ist ex­trem bitter. Sicher liegt es auch zum Teil bei uns, das Fach in anderer Weise in der Öffentlichkeit zu präsentieren. An den Fakten kommt ja keiner vorbei, kardiovaskuläre Erkrankungen sind in Deutschland noch immer Todesursache Nummer eins. Aber die Forschungsförderung ist sehr viel geringer als z. B. für die Krebsforschung und die Neuroforschung. Gesundheitspolitisch, vor allem in den Finanzierungsplanungen sind Herz-/Kreislauf­erkrankungen völlig unterrepräsentiert.Wenn jedoch die Fakten nicht publik gemacht werden, und wenn wir die kritischen Aspekte einer Herz-Kreislauferkrankung nicht transportieren, ist es an uns, das schnellstmöglich zu ändern. Wir müssen in die Öffentlichkeit gehen, dürfen nicht, wie es oft der Fall ist, als Fachgesellschaft wahrgenommen werden, die angeblich zu viele Katheter­labore in Deutschland zugelassen hat. Vielmehr müssen wir mit den Patientenvertretern und den Verantwortlichen in der Gesundheitspolitik sprechen und klarmachen, dass die kardiovaskulären Erkrankungen zwar die Treiber hoher Sterblichkeit sind, vernünftige, groß angelegte Forschungsprogramme aber nicht aufgelegt werden. Das kann nicht sein. Was machen andere Fachrichtungen anders?Prof. Baldus: Der Erfolg der Onkologen, der Hämatologen, der Krebsforschung beruht darauf, dass sie gut funktionierende Strukturen geschaffen haben und dass sie in einem Fach arbeiten, in dem die Erkrankung vielleicht auch einfacher zu fassen ist, weil sie durch viel umschriebene Mechanismen ausgelöst wird. In der Kardiologie ist es in besonderer Weise anspruchsvoll, diese multi­faktoriellen Erkrankungen zu behandeln. Deshalb müssen die Forschungsinitiativen mit Nachdruck und konsequent realisiert werden. Unser Kongress hier bereitete den Boden dafür. Wenn wir mehr den Nachwuchs in diesem Fach für Forschung begeistern wollen, dann hier in Mannheim. Aber die Rahmenbedingungen müssen dafür unbedingt verbessert werden.Herr Professor Baldus, vielen Dank für das Gespräch.    Die Fragen stelle Elke Klug.    Bild Copyright:  Science Photo Library / Thomas Deerinck / NCMIR.       Im Gespräch mit:           Univ. Prof. Dr. med. Stephan Baldussekretariat-prof-baldus@uk-koeln.de                  aus connexi  5-2019 KARDIOLOGIE, HERZCHIRURGIEDGK Jahrestagung 2019Kongressberichte       Titelbild Copyright: Science Photo Library / Thomas Deerinck / NCMIR. Gestaltung: Jens Vogelsang    
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