Kleiner Wurm – große Wirkung

Über die Behandlung mit medizinischen Blutegelnvon Rainer Klügel, Geilenkirchen Die in unseren Breiten eingesetzten medizinischen Blutegel, Hirudo medicinalis (preußischer Blutegel) und Hirudo verbana (ungarischer Blutegel), sind sicherlich die bekanntesten Vertreter der Klasse der Egel (Hirudinea), nicht zuletzt deshalb, weil sie in ihrer langen Geschichte bewiesen haben, dass sie nicht nur Parasiten sind, die ohne das Blut wechselwarmer Tiere und auch ohne eine Warmblütermahlzeit nicht ausreifen können, sondern dass sie auch Heiler für andere Lebewesen werden können. Blutegel gehören als Kieferegel zu den größeren Vertretern aus dem Stamm der Ringelwürmer. Die zu therapeutischen Zwecken am Menschen eingesetzten Tiere sind in der Regel etwa 4–8 cm lang (Abbildung 1). Schon lange vor unserer Zeitrechnung war die Anwendung medizinischer Blutegel eines der probaten Ausleitungsverfahren. So gibt es schriftliche Überlieferungen zur Blutegeltherapie in der altägyptischen Heilkunst im Papyrus Ebers (1553–1550 v. u. Z.). Schon früh schien man jedoch auch erkannt zu haben, dass die Wirkung der medizinischen Blutegel nicht nur auf den lokalen Aderlass zurückgeführt werden kann. Allerdings entwickelte sich die medizinische Blutegeltherapie erst im 21. Jahrhundert durch Untersuchung und Erforschung der Blutegel und der Vorgänge rund um den Saugakt von einem empirischen zu einem wissenschaftlich begründeten Behandlungsverfahren. Die wichtigste Erkenntnis war sicherlich der Nachweis biologisch aktiver Substanzen im Blutegelspeichel und deren physiologische und pharmakologische Wirkung auf das „Opfer“. So konnten Behandlungsstrategien entwickelt werden, die an unterschiedliche pathologische Zustände optimal angepasst werden konnten.            Abbildung 1: Hirudo verbana (© Shutterstock / Mit Kapevski). Zunächst fand die Blutegeltherapie weite Verbreitung in der „Volksmedizin“, erlebte jedoch durch die moderne Naturheilkunde vor einigen Jahrzehnten eine internationale Renaissance. Medizinische Blutegel stehen in Deutschland unter Naturschutz und werden daher für die Anwendung am Menschen in speziell zugelassenen Blutegelfarmen gezüchtet. Sie unterliegen den gleichen Anforderungen an Sicherheit, Qualität und Wirksamkeit wie zulassungspflichtige Medikamente. Ausleitung und Saliva Beim therapeutischen Einsatz wird abhängig von der Indikation eine unterschiedliche Anzahl von Blutegeln an bestimmten Körperstellen angesetzt. Die Ansatzstellen sind nicht beliebig und werden auch nicht uneingeschränkt der Vorliebe der Blutegel überlassen. Vielmehr richten sie sich nach dem therapeutischen Konzept, das der Blutegelanwender in Abwägung der krankheitsspezifischen Notwendigkeit und der Belastbarkeit und des körperlichen Zustandes des Patienten festsetzt. Bei Akzeptanz der ausgewählten Ansatzstellen durch die Blutegel saugen sie sich mit den Saugnäpfen an Kopf und Körperende fest und beginnen, die Haut mit ihren drei Kieferleisten anzuritzen. Der Biss ist schmerzarm, entspricht einem vorübergehenden leichten Stechen oder Brennen (wie bei Mückenstich oder bei Berührung mit Brennnesseln). Wenn die pyramidenförmigen Zähnchen maximal 1,5 mm tief in die Haut eingedrungen sind, gelangt der Blutegel an blutführende Hautschichten. Dort beginnt er mithilfe des starken Unterdruckes des Saugvorganges seine Blutmahlzeit, die in der klassischen Naturheilkunde mit „Ausleitung“ beschrieben wird. Zeitgleich gibt der Blutegel über seinen Speichel, die Saliva, einen Wirkstoffcocktail ab, welcher eine Vielzahl von Substanzen enthält, die zunächst schmerzlindernd und gerinnungshemmend wirken, damit der Saugakt ungehindert fortgesetzt werden kann. Die im Blutegel und im abgegebenen Speichel enthaltenen biologisch aktiven Substanzen unterstützen die vielfältigen Heilungseffekte im Zuge der medizinischen Blutegeltherapie. So finden sich vasoaktive Neurotransmitter wie Histamin und Serotonin, lysierende Substanzen wie Hyaluronidasen und Kollagenasen, die Blutgerinnung beeinflussende Substanzen wie Hirudin und Calin, immunmodulierende Substanzen wie Destabilase, neurotrophe Substanzen wie Hirudin und schließlich entzündungshemmende Substanzen wie Hirustasin.  Indikationen Die Kombination der verschiedenen Wirkeffekte ermöglicht die Blutegelanwendung bei einer großen Anzahl von Beschwerden. So können Blutegel lokal an betroffene Körperstellen oder systemisch an bestimmte Reflexzonen angesetzt werden. Viele Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates wie Arthrose, Arthritis, Tendinosen und muskuläre Beschwerden lassen sich positiv durch die Anwendung medizinischer Blutegel beeinflussen (Abbildung 2).             Abbildung 2: Blutegeltherapie bei Epikondylitis radialis. Auch in der Traumatologie bei Zerrungen und Verstauchungen, bei ausgeprägten Hämatomen oder postoperativen Komplikationen sind die Blutegel willkommene Helfer. In der Phlebologie bei Varizen, Thrombosen oder chronisch venöser Insuffizienz und auch bei Hämorrhoiden kommen Blutegel genauso zum Einsatz wie bei kardiologischen Problemen, Infektionen, neurologischen Erkrankungen, in der Hämatologie, in der Gynäkologie/Andrologie, bei HNO-Erkrankungen und in der Ophthalmologie. Da die Blutegeltherapie aufgrund ihres natürlichen Ursprungs und aufgrund ihrer biologisch aktiven Substanzen eine sehr gute Verträglichkeit aufweist und unerwünschte Nebenwirkungen sehr selten sind, gehört sie – aus der Hand erfahrener Blutegelanwender und Therapeuten – gerade bei hartnäckigen Beschwerden auch heute zu den bevorzugten Therapieverfahren.       Bild Copyright:  Science Photo Library / Phanie / Burger   Autor:           Dr. med. Rainer Klügelinfo@dr-kluegel.de                 aus connexi  8-2019SCHMERZPALLIATIVMEDIZINKongressberichte       Titelbild Copyright: mauritius images / Science Photo Library / Kateryna Kon Gestaltung: Jens Vogelsang  
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