Organtransplantation - Gesetzesinitiative für eine Widerspruchslösung im Bundestag gescheitert

OrgantransplantationGesetzesinitiative für eine Widerspruchslösung im Bundestag gescheitertSpanien, Italien, Norwegen, Schweden, Luxemburg oder Österreich haben sie längst, Frankreich hat sie 2017 eingeführt. Für Deutschland hat der Deutsche Bundestag am 16. Januar 2020 eine Widerspruchslösung mit einer deutlichen Mehrheit von 379 zu 292 Stimmen abgelehnt. Damit bleiben Organspenden in Deutschland weiterhin nur mit ausdrücklicher Zustimmung erlaubt. Im September 2019 fand eine öffentliche Anhörung des Gesundheitsausschusses zu diesem Thema statt. Assoz. Prof. Dr. med. Fritz Diekmann war von den Initiatoren einer Gesetzesinitiative für eine doppelte Widerspruchslösung als Experte eingeladen. connexi hat ihn befragt. Herr Doktor Diekmann, Sie leiten ein großes Zentrum für Nierentransplantation in Barcelona, wenn man die Patienten in Nachsorge betrachtet, sogar das größte in Spanien. Wie viele Nierentransplantationen machen Sie in Ihrem Zentrum?Im Jahr 2019 waren es 182 Nierentransplantationen, die in unserer Abteilung durchgeführt wurden, davon 17 Niere-Pankreas- und acht Niere-Leber-Transplantationen.Spanien hat im Jahr 2017 mit 47 Spendern pro eine Million Einwohner einen neuen weltweiten Rekord in Sachen Organspende aufgestellt. Im Vergleich dazu kam Deutschland in demselben Jahr nur auf zehn Organspenden pro eine Million Einwohner. In Spanien gilt die Widerspruchslösung. Herr Doktor Diekmann, was spricht in Ihren Augen für eine Widerspruchslösung?Wir leben in Zeiten der Organknappheit. Obwohl die gesetzliche Regelung nicht die einzige Voraussetzung für eine hohe Anzahl von postmortalen Organspenden ist, so ist doch unbestritten, dass es einen klaren Zusammenhang zwischen der geltenden Regel und der Anzahl der Organspenden gibt. Es gibt Studien, die das hinreichend belegen. Man kann das unter anderem aber auch daran erkennen, dass kein Land ohne Widerspruchsregelung im Bereich der Organspende eine Spitzenreiterposition einnimmt. Diese Erkenntnis hatte zuletzt in Großbritannien und den Niederlanden dazu geführt, dass anders als in Deutschland die geplanten oder bereits umgesetzten Maßnahmenpakete zur Steigerung der Organspende immer auch eine Einführung der Widerspruchsregelung beinhalten. In Europa gibt es derzeit nur noch sehr wenige Länder, die auf die Widerspruchslösung verzichten. Im Verbund Eurotransplant ist Deutschland inzwischen das einzige Land.Abgesehen von dem Wunsch mehr Organspenden zu generieren. Was würde eine Widerspruchslösung in Deutschland in Ihren Augen verändern?In meiner klinischen Tätigkeit erlebe ich täglich den hohen Stellenwert der Widerspruchslösung als Teil einer „Kultur pro Organspende“. Spanien hat seit Jahren die höchsten Organspendezahlen weltweit. Dies ist neben einer gut etablierten Infrastruktur ohne Zweifel auch auf den gesellschaftlichen Konsens zurückzuführen, der nicht zuletzt von der Widerspruchslösung getragen wird. Auch Umfragen in Deutschland haben wiederholt gezeigt, dass die Transplantationsmedizin in der Bevölkerung eine breite gesellschaftliche Akzeptanz genießt. Und wenn man unmittelbar nach der Organspendebereitschaft fragt, antworten rund 80 % der Deutschen, dass sie der Organspende positiv gegenüberstehen. Auch in Deutschland stehen die Menschen demnach hinter der Organspende. Sie wollen diese Möglichkeit nutzen, wenn sie selbst betroffen sind, und sie sind in der überwiegenden Mehrheit im Falle ihres Todes auch bereit zu spenden. Dennoch machen die aktuellen Zahlen Deutschland mit der geltenden Entscheidungslösung zum Schlusslicht in Europa. Wieso glauben Sie, kommen wir mit einer Erweiterung der Zustimmungslösung, wie sie nun vom Gesetzgeber beschlossen wurde, in Deutschland allein nicht weiter? Das Grundproblem jeder Zustimmungslösung ist meines Erachtens, dass sie letzten Endes ergebnisoffen ist und nicht wirklich definiert, was wir uns als Gesellschaft eigentlich wünschen. Es liegt in gewissem Sinne in der Natur des Menschen, dass er sich ungern mit der Fragilität seiner Gesundheit und der Endlichkeit seines Lebens auseinandersetzt. Es ist auch durchaus legitim, wenn der Einzelne sich mit bestimmten Fragen nicht auseinandersetzen möchte. Dies darf aber nicht dazu führen, dass wir uns als Gesellschaft der Verantwortung entziehen, die wir insbesondere auch unseren kranken Mitmenschen schulden. Ich sehe es als problematisch an, dass in allen Zustimmungslösungen, auch in der nun beschlossenen erweiterten Zustimmungslösung, eine fehlende Entscheidung automatisch zur Nichtorganspende führt. Ein solidarische Gesellschaft definiert sich immer auch darüber, wie wir mit besonders schutzbedürftigen Menschen umgehen. Befürworter einer Zustimmungslösung fokussieren sehr stark auf die individuelle Freiheit, vergessen dabei aber gerne, dass dem Staat auch eine Fürsorgepflicht obliegt, menschliches Leben zu bewahren. Patienten, die auf eine Organspende angewiesen sind, gehören in hohem Maße einer schutzbedürftigen Gruppe an. Sie haben ein Anrecht auf unsere bestmögliche Unterstützung. Und wir können ihnen im Falle der Organspende zur Seite stehen, ohne dass es mit einem Risiko oder einem Schaden für die Gesellschaft oder den Einzelnen verbunden ist.  Die Organ­transplantation ist ein etabliertes Verfahren, sie ist derzeit für Patienten mit chronischem Nierenversagen die bei weitem überlegene Behandlungsoption, sie sichert und verlängert Überleben und sie ist darüber hinaus kosteneffizient und gesellschaftlich gewünscht. Ich halte es vor diesem Hintergrund für einen Fehler, wenn sich der Gesetzgeber für eine Zustimmungslösung entscheidet, die unter dem Vorwand, die Selbstbestimmung des Einzelnen zu schützen, in der Aussage neutral bleibt und im Wesentlichen offenlässt, was im Sinne einer solidarischen Gesellschaft eigentlich anstrebenswert wäre. Die individuelle Freiheit des Einzelnen sich gegen die Organspende zu entscheiden, ist durch eine Widerspruchslösung in keiner Weise beeinträchtigt. Allerdings schafft sie so etwas wie eine Empfehlung für die Organspende und macht deutlich, dass sowohl Politik als auch die Bevölkerung im Sinne der Betroffenen hinter der Transplantationsmedizin stehen.  Es wäre übrigens auch kein neues Recht, wie so oft eingewendet wurde. Es gibt auch in anderen Daseinsbereichen gesetzliche Vorgaben, die, wenn der Einzelne nicht aktiv wird oder widerspricht, automatisch eine gesetzliche Regelung in Kraft setzen. Man denke zum Beispiel nur an die gesetzliche Erbfolge, die immer dann greift, wenn kein Testament hinterlassen wird. Auch hier hat der Gesetzgeber vorab definiert, was gesellschaftlich wünschenswert ist. Bei einer Widerspruchslösung geht es nicht darum, dem Einzelnen die Entscheidung für oder gegen eine Organspende abzunehmen, sondern lediglich darum, ihn zu verpflichten, sich einmal im Leben damit auseinanderzusetzen, ob er einer Organspende im Falle des eigenen Todes zustimmen oder widersprechen möchte. Fairerweise sollte man jedoch auch zugestehen, dass die Widerspruchslösung kein Allheilmittel ist und an bestimmten strukturellen Problemen in der Transplantationsmedizin nichts geändert hätte. Wirkt sich die Widerspruchslösung bei Ihnen in Spanien auch auf den klinischen Alltag und das Personal bei der Identifikation der Spender aus?Ja, die positive Grundhaltung der Spanier zur Organspende bestärkt alle Beteiligten im gesamten Prozess – die Angehörigen, die Ärztinnen und Ärzte und das gesamte Klinikpersonal. Weniger als 15 % der Angehörigen lehnen übrigens eine Spende ab. In Spanien wird die Organspende als selbstverständlicher Bestandteil der medizinischen Versorgung verstanden. Die Spanier sind stolz auf das System und stolz auf ihre Zahlen. Diese grundsätzliche gesellschaftliche Übereinkunft für die Organspende, die sich in der Widerspruchslösung ausdrückt, wirkt sich auch auf die Wahrnehmung und den Umgang mit der Transplantation in den Krankenhäusern aus. Ergebnisoffene Regelungen wie die erweiterte Zustimmungslösung lassen letztendlich immer offen, was denn eigentlich das gesellschaftlich gewünschte Ziel ist. Es wird in Deutschland nicht leicht werden, unter diesen Bedingungen verlässliche Strukturen mit Handlungsvorgaben aufzubauen, auf die sich Mitarbeiter beziehen und Patienten und Angehörige verlassen können. Mit der aktuellen Entscheidung gibt der Gesetzgeber im Übrigen auch einen erheblichen Teil seiner Verantwortung an die behandelnden Ärzte und Klinikmitarbeiter weiter. Wenn überlange Wartelisten auf ein knappes Organangebot treffen, werden die Langzeit­ergebnisse immer wichtiger. Sie haben in Barcelona große Erfahrung. Wie sind Ihre Erfahrungen in der „realen Welt“?Uns geht es letztendlich darum, für den Patienten das beste immunsuppressive Regime auszusuchen. Studienergebnisse, insbesondere aus randomisierten kontrollierten Studien, liefern hier wichtige Daten. So hat uns beispielsweise die TRANSFORM-Studie gezeigt, dass wir mit einem everolimus­basierten Regime und Tacrolimus ein gleichwertiges alternatives Therapieprotokoll haben, bei dem wir von der gleichen immunsuppressiven Potenz ausgehen dürfen. Wir sehen grundsätzlich gewisse Vorteile bei den Virus­erkrankungen, den gastro­intestinalen Nebenwirkungen und dem diabetogenen Potenzial. Es gibt in der Literatur auch zahlreiche Hinweise auf günstigere Malignom­raten unter mTOR-Inhibitoren.  Wir waren natürlich sehr interessiert herauszufinden, ob sich diese guten Ergebnisse auf unseren Patientenpool übertragen lassen. Unsere Spender sind älter, wir haben Patienten nach Zweit- oder Dritttransplantation, Organspenden nach kardiovaskulärem Tod, Empfänger mit Antikörpern, um nur einige Ausschlusskriterien der Transform-Studie aufzugreifen. Tatsächlich wäre etwa die Hälfte unserer Patienten nicht in die TRANSFORM-Studie eingeschlossen worden. Es zeigt sich jedoch, dass wir auch unter Real-Life-Bedingungen vergleichbare gute Ergebnisse erzielen, sowohl was die Abstoßungsrate als auch die Transplantatfunktion nach einem Jahr angeht. Ganz wichtig für uns, ist die richtige Patientenauswahl. Patienten mit einem BMI >30 oder einem erhöhten Wundheilungsrisiko, mit einer FSGS oder einen membranösen GN als Grunderkrankung, ABO-inkompatible Transplantationen würden wir zum Beispiel nicht mit einem Everolimus-Protokoll behandeln. Ganz aktuell haben wir Studiendaten veröffentlicht, die zeigen, dass auch unter unseren immunologischen Hochrisikopatienten ein Protokoll mit Everolimus einem Schema mit MMF nicht unterlegen ist. Herr Doktor Diekmann, wir danken Ihnen für das Gespräch!     Das Interview führte: Rüdiger Zart  LiteraturempfehlungenPascual J, Berger SP, Witzke O et al.; TRANSFORM Investigators. Everolimus with Reduced Calcineurin Inhibitor Exposure in Renal Transplantation. J Am Soc Nephrol 2018; 29(7): 1979–91.Cucchiari D, Ríos J, Molina-Andujar A et al. Combination of calcineurin and mTOR inhibitors in kidney transplantation: a propensity score analysis based on current clinical practice. J Nephrol 2019 Dec 18. [Epub ahead of print].Cucchiari D, Molina-Andujar A, Montagud-Marrahi E et al. Use of de-novo mTOR inhibitors in hypersensitized kidney transplant recipients: Experience from clinical practice. Transplantation 2019 Oct 21. [Epub ahead of print].   Bild Copyright:  Bildagentur_online / O hde   Im Gespräch mit:           PD Dr. med. Fritz Diekmann                 aus connexi  1-2020 NEPHROLOGIE, HYPERTENSIOLOGIE, DIALYSE, TRANSPLANTATION DGfN, DTG, DHL und Berliner Dialyse-Seminar 2019 Kongressberichte       Titelbild Science Photo Library / Susumu  Nishinaga, Fotolia® Janis Smits. Gestaltung: Jens Vogelsang  
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