RARE DISEASES - ATTR

Eine interdisziplinäre HerausforderungDiagnostik und Therapie der Transthyretin-Amyloidose (ATTR)von Fabian aus dem Siepen, Heidelberg, und Arnt V. Kristen, Heidelberg und Darmstadt   Der Überbegriff Amyloidose fasst eine Gruppe von Erkrankungen zusammen, bei der es zur Ablagerung von unlöslichen, fehlgefalteten Proteinkomplexen in verschiedenen Organen kommt. Bei der Transthyretin-Amyloidose (ATTR) handelt es sich nach der Leichtketten-Amyloidose (AL) um die zweithäufigste Form der Amyloidose-Erkrankungen in den Industrienationen. Die zwei Unterformen „hereditär“ (ATTRv) und „Wildtyp“ (ATTRwt) unterscheiden sich grundlegend im Hinblick auf Prävalenz, Organbeteiligung, Altersverteilung, Therapie und Prognose, haben aber gemeinsam, dass eine Therapie nur in frühen Stadien der Erkrankung sinnvoll ist. Bedingt durch die breitere Verfügbarkeit moderner diagnostischer Verfahren wie der Kardio-MRT und der Strain-Messungen in der Echokardiographie, aber auch durch die stetig wachsende Aufmerksamkeit für das Thema ATTR-Amyloidose, ist die Inzidenz dieser Erkrankung in den letzten Jahren stark angestiegen. Auch wenn weiterhin von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist, ist die ATTR dennoch in die Gruppe der seltenen Erkrankungen einzuordnen entsprechend einer Prävalenz von weniger als fünf pro 10.000 Einwohner.  Das Transportprotein Transthyretin liegt als Tetramer vor und wird hauptsächlich in der Leber synthetisiert. Kommt es zur Destabilisierung des Tetramers und zu einer Dissoziation in Monomere, können die Monomere Fibrillen bilden, welche sich extrazellulär ablagern und zu einer Funktionseinschränkung der betroffenen Organe führen. Bereits die Wildtyp-Form des Protein-Tetramers ist nicht von hoher Stabilität, insbesondere wenn kein Protein (Thyroxin oder retinolbindendes Protein) daran gebunden ist. Zudem kann die Stabilität des Tetramers durch verschiedene Genmutationen vermindert werden.  ATTRv und ATTRwt  Über hundert autosomal-dominant vererbte Mutationen im Transthyretin-Gen gelten als „amyloidogen“ und können zu unterschiedlichen Phänotypen führen. Am häufigsten sind das periphere Nervensystem und das Herz betroffen, sodass zwischen den Phänotypen „Amyloid-Polyneuropathie“, „Amyloid-Kardiomyopathie“ und „gemischt“ mit jeweils unterschiedlichen Altersgipfeln abhängig von der vorliegenden Mutation unterschieden wird. Ein Nervenbefall äußert sich in einer symmetrischen, axonalen sensomotorischen Polyneuropathie. Die Stadieneinteilung erfolgt nach der Ausprägung der Symptome:Stadium I: Par- und Dysästhesien der unteren Extremität ohne motorische EinschränkungStadium II: motorische Einschränkung mit Notwendigkeit einer GehhilfeStadium III: an den Rollstuhl gebunden Eine kardiale Beteiligung resultiert in einer diastolischen Herzinsuffizienz mit typischen Symptomen wie Dyspnoe und Ödemneigung. Andere Organ­manifestationen wie beispielsweise eine Beteiligung des Gastrointestinaltraktes sind selten, eine renale Beteiligung stellt bei der ATTR eine Rarität dar. Dass es dennoch häufig bei Erkrankten zu einer Einschränkung der Nierenfunktion kommt, ist im Rahmen eines kardiorenalen Syndroms zu erklären.  Von der Wildtyp-Form sind meist Männer ab einem Alter von 70 Jahren betroffen, wobei der genaue Mechanismus, weshalb es auch ohne Vorliegen einer amyloidogenen Mutation zu Amyloid-Ablagerungen kommen kann, bisher nicht geklärt ist. Im Gegensatz zur hereditären Form liegt meist eine isolierte Herzbeteiligung vor. Diagnostik  Da viele Differenzialdiagnosen einer Herzinsuffizienz und/oder Polyneuropathie deutlich häufiger sind als eine ATTR-Amyloidose, kann die Dauer zwischen Auftreten der ersten Symptome und der Diagnosestellung verhältnismäßig lang sein. Die häufigsten initialen Diagnosen sind die diabetische Polyneuropathie und die chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyradikuloneuropathie (CIDP) auf Seiten der Neurologie sowie die hypertensive Herzerkrankung und die hypertrophe Kardiomyopathie in der Kardiologie. Im Rahmen der Anamnese kann sich der Verdacht auf ATTR-Amyloidose erhärten, wenn kombiniert Symptome einer Herzinsuffizienz und einer Polyneuropathie und zusätzlich Red Flags vorliegen wie familiäre Häufung der Symptome oder mit der ATTR assoziierte Komorbiditäten wie das Karpaltunnelsyndrom oder die Spinalkanalstenose. Zur weiteren Abklärung kommen bildgebende Verfahren zum Einsatz. Echokardiographisch zeigt sich bereits in frühen Phasen eine Reduktion des longitudinalen Strains der mediobasalen Wandabschnitte, während die Kontraktilität des Apex uneingeschränkt ist (apical sparing) (Abbildung 1).        Abbildung 1: Typisches Bild einer kardialen Amyloidose in der Echokardiographie mit ausgeprägter­ Hypertrophie und charakteristischem Strain-Muster.       In der Magnetresonanztomographie kommt ein typisches Late-Gadolinium-Enhancement (LGE)-Muster zur Darstellung, das die Differenzierung zu anderen hypertrophen Kardiomyopathien erlaubt. Abgrenzen von anderen Amyloidoseformen können jedoch ausschließlich die Biopsie mit immunhistochemischem Nachweis des Proteins und die Knochenszintigraphie, sofern eine AL-Amyloidose serologisch ausgeschlossen werden kann und eine eindeutige Mehrspeicherung des Myokards oberhalb des Knochenniveaus nachgewiesen wird. Bioptisch lässt sich ATTR-Amyloid bei der ATTRv häufig auch außerhalb des betroffenen Organs, beispielsweise im Bauchfett oder den Speicheldrüsen, nachweisen, bei der ATTRwt gelingt der Nachweis meist nur mittels Myokardbiopsie. Ein Gentest ist bei histologischem Nachweis von ATTR-Amyloid obligat. Therapie Für die ATTRv mit Polyneuropathie ist seit 2011 der TTR-Stabilisator Tafamidis Meglumin (Vyndaqel®) für die Behandlung im Stadium I zugelassen. Seit 2018 liegt auch eine Zulassung für die zwei RNAi-Therapeutika Inotersen (Tegsedi®) und Patisiran (Onpattro®) vor. Beide Medikamente dürfen in den Stadien I und II eingesetzt werden und supprimieren auf RNA-Ebene die Produktion des krankheitsauslösenden Proteins Transthyretin. Nur noch selten wird heute hingegen eine Lebertransplantation durchgeführt. Zur Behandlung des kardialen Phänotyps der ATTRv sowie der ATTRwt wurde Tafamidis in der Dosierung 61 mg (Vyndaqel®) im Februar 2020 zugelassen, zudem befinden sich Phase-3-Studien für RNAi-Therapeutika in Vorbereitung. Gemein haben alle bisher verfügbaren Therapien, dass lediglich ein Fortschreiten der Erkrankung verhindert werden kann und daher eine frühe Therapie-Initiierung essenziell ist. Bei einer isolierten, fortgeschrittenen kardialen Beteiligung ist unter bestimmten Voraussetzungen auch eine Herztransplantation denkbar. Fazit  Die beiden Formen der ATTR-Amyloidose, die seltene hereditäre Form und die mutmaßlich noch unterdiagnostizierte Wildtypform, sind heutzutage medikamentös behandelbar und stellen eine interdisziplinäre Herausforderung für Internisten und Neurologen dar. Erkrankte profitieren von einer frühen Diagnosestellung, sodass bei bestimmten Symptomkombinationen und Red Flags die Erkrankung differenzialdiagnostisch in Betracht gezogen werden sollte. Die Auswahl des diagnostischen Werkzeugs (MRT, Biopsie, Szintigraphie) sollte dabei im Hinblick auf die vermutete Form erfolgen.        Bild Copyright:  LuckyStep48 / Alamy Vektorgrafik   Autoren:           Prof. Dr. med. Arnt V. Kristenarnt.kristen@med.uni-heidelberg.de              Dr. med. Fabian aus dem Siepenfabian.ausdemsiepen@med.uni-heidelberg.de                  aus connexiplus 2-2020 KARDIORENALE ACHSE INTERDISZIPLINÄRKardiologie, Nephrologie, Diabetologie, Lipidologie, Biomarker sowie Ernährung       Titelbild Copyright: Shutterstock / AlexRoz, Shutterstock / Maria Averburg, Shutterstock / 3Dstock, Shutterstock / Sebastian Kaulitzky. Gestaltung: Jens Vogelsang    
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