CLIOMMICS

Systemmedizin und personalisierte Therapie beim multiplen Myelom Hartmut Goldschmidt, Heidelberg   Mit dem Forschungs- und Förderkonzept „e:Med – Maßnahmen zur Etablierung der Systemmedizin“ (e:Med) fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Etablierung der Systemmedizin in Deutschland. „e:Med“ steht dabei für die elektronische Prozessierung und Integration medizinisch relevanter Daten diverser Wissensebenen in der Systemmedizin. CLIOMMICS wiederum steht für verbesserte Möglichkeiten der Myelomprävention, eine umfassendere Myelomdiagnostik und individuell angepasste Behandlungsschemata bei der Erkrankung multiples Myelom.   Auf der Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie 2015 in Basel präsentierte Professor Hartmut Goldschmidt aus Heidelberg erstmalig das e:Med-Verbundprojekt „CLIOMMICS – Clinically-applicable, omics-based assessment of survival, side effects and targets in multiple myeloma“, welches unter Beteiligung von Arbeitsgruppen der Universität Heidelberg und des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) Heidelberg erstmals systemorientierte Herangehensweisen bei der Erforschung der Erkrankung multiples Myelom prüft. Der extrem vielversprechende Ansatz der Systemmedizin wird seit September 2013 am Universitätsklinikum genutzt, um die zielgerichtete personalisierte Therapie von Myelompatienten so weiterzuentwickeln, dass in absehbarer Zukunft ein sogenannter „CLIOMMICS-Report“ zur Verfügung steht, der insbesondere durch die Bestimmung von Myelom-spezifischen Zielstrukturen erlauben wird, jeden Patienten entsprechend seines persönlichen Krankheitsprofils zu behandeln und dadurch die Effektivität der Myelomtherapie weiter zu steigern und die Rate an Nebenwirkungen zu reduzieren. Ziel dieses Ansatzes ist eine Vorhersage zum Ansprechen auf eine bestimmte Myelomtherapie und eine Prognoseabschätzung. Dadurch können auch Kosten reduziert werden. Nicht zuletzt wird Systemmedizin ein größeres Verständnis molekularer Mechanismen und schließlich der Biologie der Erkrankung ermöglichen.     CLIOMMICS-Projekt   Myelomzellen weisen eine große Anzahl an genetischen Veränderungen und Aktivierungen von Genen im Vergleich zu normalen Plasmazellen auf. Seit vielen Jahren werden beim multiplen Myelom umfangreiche molekulare und klinische Daten erhoben. Zunehmende Bedeutung erlangen dabei die Daten der Genom- und Postgenomforschung (Genexpressionsanalysen, Interphase Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung, RNA-Sequenzierung, Analyse von Einzelnukleotid-Polymorphismen), die in Hochdurchsatz-Verfahren in großer Menge und in kurzer Zeit generiert werden können. In CLIOMMICS-Projekten wird für diese Daten eine spezifische IT-Infrastruktur und ein mehrstufiges Datenmanagementkonzept erarbeitet, welches erlaubt, diese Daten mit klinischen Daten sowie mit potenziellen und bekannten Prognosefaktoren durch mathematische Modelle miteinander in Verbindung zu setzen. Integrierte statistische Vorhersagemodelle für den Krankheitsverlauf werden entwickelt und in der klinischen Routine zur individuellen Therapieentscheidung eingesetzt. Durch bisherige Ergebnisse war es beispielsweise möglich, aufzuzeigen, dass ein erhöhtes familiäres Risiko an multiplem Myelom zu erkranken, auf erblichen Varianten in der Keimbahn beruht. Es wurde die Erbinformation von ca. 5.000 Myelom-Patienten untersucht und es konnten mehrere sogenannte Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNP) – identifiziert werden, die das Erkrankungsrisiko erhöhen. Weiterhin konnte aufgezeigt werden, dass bestimmte Variationen schon im Erbgut von Patienten mit monoklonaler Gammopathie unbestimmter Signifikanz (MGUS) das Risiko erhöhen, an multiplem Myelom zu erkranken. Die erblichen Risikovarianten spielen somit nicht erst bei der malignen Transformation eine Rolle, sondern üben bereits in der prämalignen Vorstufe des Myeloms, der monoklonaler Gammopathie unbestimmter Signifikanz, ihren Einfluss aus. Weitere Ergebnisse zeigen den Einfluss beispielsweise von Translokationen und Zugewinnen für das Gesamtüberleben von Myelompatienten auf.   Fazit   Systemmedizin fördert komplett neue Lösungs- und Denkansätze, verknüpft neueste Erkenntnisse aus der Medizin mit Methoden aus der Mathematik und den Informationswissenschaften und macht so die erzielten Ergebnisse für die Behandlung von Myelompatienten unmittelbar nutzbar. Systemmedizin wird die personalisierte Myelomtherapie revolutionieren.        Das multiple Myelom   Das multiple Myelom ist eine maligne Plasmazellerkrankung, genetisch heterogen und durch eine monoklonale Plasmazellvermehrung im Knochenmark gekennzeichnet. Die Erkrankung entwickelt sich fast ausnahmslos aus einer Gammopathie unbestimmter Signifikanz (MGUS). Hauptsymptome der Krankheit sind Hyperkalzämie, eine Schädigung der Niere, Insuffizienz der Hämatopoese sowie Knochenschmerzen. Mit 5.600 Neuerkrankungen pro Jahr ist das multiple Myelom die zweithäufigste hämatologische Neoplasie in Deutschland, zwei Drittel der Patienten sind bei Diagnosestellung älter als 65 Jahre. In den letzten Jahren hat sich die Prognose der Patienten mit multiplem Myelom signifikant verbessert. Durch die Einführung neuer therapeutischer Substanzen wie Bortezomib, Thalidomid und Lenalidomid in Kombination mit der Transplantation hämatopoetischer Stammzellen konnten die Ansprechraten gesteigert und das progressionsfreie- sowie Gesamtüberleben verlängert werden. Gleichzeitig werden durch neue Medikamente jedoch auch Nebenwirkungen, insbesondere Erkrankungen des peripheren Nervensystems und das Blut sowie die blutbildenden Organe betreffende Toxizitäten induziert. Standardisierte molekularbiologische und bildgebende Diagnoseverfahren sowie der Nachweis von genetischen Veränderungen ermöglichen eine präzisere Zuordnung in Prognosekollektive und sind die Voraussetzung für eine individualisierte und risikoadaptierte Therapie.       Copyright: doc-stock/Medicimage   Autor:           Prof. Dr. med. Hartmut Goldschmidt, Heidelberg hartmut.goldschmidt@med.uni-heidelberg.de         aus connexi 1-2016   Oktober bis Dezember 2015 Hämatologie und Onkologie 2015 DGHO 2015 in Basel, ASH 2015 in Florida Konferenzberichte      
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