Coming out

suPAR – „das Cholesterin“ der Niere? von Jochen Reiser, Chicago, USA     Wohl kaum eine klinische Beobachtung hat den medizinischen Alltag in den letzten Jahrzehnten mehr verändert als die Entschlüsselung der Bedeutung des Cholesterins. Für die Synthese von Cholesterin beim Menschen ist die HMG-Co-Reduktase das entscheidende geschwindigkeitsbestimmende Enzym [1]. Eine Hemmung der HMG-CoA-Reduktase ist daher klinisch von großer Relevanz zur Senkung des Cholesterinspiegels. Diese Erkenntnis hat die Risikostratifizierung und Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen maßgeblich verändert und die Morbidität und Mortalität von Millionen Menschen beeinflusst. Vor dem Hintergrund von nahezu einer Milliarde nierenerkrankter Menschen könnte dem löslichen Urokinase-Rezeptor suPAR in Zukunft ein ähnlicher Stellenwert zukommen.   Wie auch Cholesterin liegt suPAR beim Menschen in unterschiedlichen Isoformen vor, derzeit bekannt sind suPAR I, II, III und IV. suPAR I, die am häufigsten anzutreffende Isoform, besitzt drei homologe Domänen, bindet Urokinase und Integrine und kann mit den aktuell auf dem Markt verfügbaren ELISA-Tests gemessen werden [2].   Was ist suPAR?   suPAR wird von vielen Zelltypen, unter anderem von Adipozyten und unreifen myeloischen Zellen des Knochenmarks, als plasmamembranständiger Urokinase-Rezeptor (uPAR) produziert [3], um dann durch Abspaltung des Glykophosphatidol-Inositol-Teils von uPAR als suPAR in den Blutkreislauf abgegeben zu werden. suPAR ist ein im Blut zirkulierendes Signalmolekül der Lysin-6-Neurotoxin-Familie, es besitzt bis zu drei sehr ähnlich strukturierte Proteindomänen, die alle zusammen bis zu fünf N-vernetzte Glykosilierungsseiten besitzen und im SDS-Gel als 3-Domänen-Form zwischen 35 kDA und 60 kDa laufen [3]. Unklar ist bisher, ob verschiedene Zelltypen verschiedene suPAR-Profile exprimieren, die zur Generation diverser suPAR-Varianten führen. Derzeit können die verfügbaren suPAR-ELISA-Systeme leider nur den Gesamt-suPAR-Wert ermitteln und nicht alle Formen von suPAR gleich gut erkennen [4].   Sowohl die Spleißvarianten als auch das proteolytisch generierte suPAR D2–D3 zirkulieren im Blut und binden an Integrin alphaVbeta3 am Podozyten und aktivieren diesen regulatorischen Zell-Matrix-Rezeptor. Aktiviertes Integrin alphavbeta3 verursacht eine Aktivierung der Rho-GTPase Rac1, welche die Motilität der Podozyten-Fußfortsätze pathologisch stimuliert und zu deren Verschmelzung führt.   Wenn keine anderweitige Nierenerkrankung vorliegt, steht erhöhtes suPAR oder die Existenz spezieller suPAR-Isoformen für die Induktion einer Signalkaskade, die den Beginn und das Fortschreiten der fokal segmentalen Glomerulosklerose (FSGS) unterhält [5]. Der Wirkmechanismus passt gut in ein klinisches Szenario, das man bereits aus den 1960er-Jahren kennt. Damals wurde zum ersten Mal beschrieben, dass eine Nephrose auch nach vielen Jahren der Remission wieder aufblühen kann, was hypothetisch mit einer Präsenz von Serumfaktoren in Zusammenhang gebracht wurde [6]. Im Jahr 1972 wurde dann die Rekurrenz der FSGS im Transplantat klinisch beschrieben, und der Begriff „zirkulierender FSGS-Faktor“ wurde erwogen [7]. Die Arbeiten von Savin et al. brachten schließlich den Nachweis, dass es zirkulierende Faktoren geben muss [8]. In ihren Experimenten wurde Blut von Patienten mit rekurrenter FSGS prozessiert und mittels Ammoniumfällung mit Proteinen von bis zu 50 kDa angereichert. Die Injektion dieser Mischung stimulierte in Ratten eine transiente Protein­urie. Basierend auf Studien unserer Arbeitsgruppe bezüglich des Urokinase-Rezeptors im Podozyten  konnten wir schließlich im Jahr 2011 den löslichen Urokinase-Rezeptor (suPAR) als zirkulierenden FSGS-Faktor beschreiben [9, 10]. Mittlerweile wissen wir, dass suPAR nicht der einzige zirkulierende Faktor bei der FSGS ist. So sind zum Beispiel im Blut zirkulierende Auto-Antikörper gegen den Zell-Oberflächenrezeptor CD40 [11] oder genetische Varianten des APOL1, welche sich in Patienten mit afrikanischer Herkunft in homozygoter Form in 15 % und in heterozygoter Form in bis zu 40 % finden [12]. suPAR kann sowohl mit CD40-Auto-Antikörpern als auch mit APOL1 in Interaktion treten, um eine besonders starke Integrin-Aktivierung zu bewirken [11,13]. Auch suPAR-Varianten wie die am häufigsten vorkommende 3-Domänen-Form von suPAR beschleunigen einen glomerulären Schaden durch die Interaktion mit APOL1 oder CD40-Auto-Antikörpern. Der suPAR-Integrin-Pathomechanismus, alleine oder gemeinsam mit APOL1 oder CD40-Auto-Antikörpern erklärt, warum Immunadsorption und/oder Plasmapherese teilweise erfolgreich zur Therapie einer rekurrenten FSGS eingesetzt werden können [14].   Das Coming-out von suPAR als globaler renaler Risikofaktor   Erhöhte suPAR-Serumspiegel sind nicht spezifisch für die FSGS, sie können auch Hinweis auf eine Infektion oder bestimmte Tumoren sein. Man misst sie auch bei einer reduzierten glomerulären Filtrationsrate (GFR), wenn diese unter 90 ml/min fällt [15]. Longitudinale Beobachtungsstudien mit mehreren tausend Patienten mit kardiovaskulärem Risikoprofil und sowohl normaler als auch reduzierter Nierenfunktion haben gezeigt, dass die suPAR-Spiegel im Blut bei der Mehrzahl der Patienten bereits erhöht ist, bevor die Nierenfunktion nachlässt. Menschen mit normaler Nierenfunktion und einem erhöhten suPAR-Spiegel haben ein erhöhtes Risiko für eine zukünftige Nierenfunktionsstörung [15]. Diese Beobachtung gilt auch für gesunde Menschen ohne spezielle Risikofaktoren: Ein erhöhter suPAR-Blutwert ist mit einem hohen Risiko einer zukünftigen Nierenfehlfunktion assoziiert [16].   Eine kürzlich erschienene Studie aus der Universität Tübingen bei Patienten mit Typ-2-Diabetes mellitus aus der TULIP-Kohorte (Tübinger-Lebensstil-Interventions-Programm) zeigt, dass der Anstieg der suPAR-Spiegel einer Mikroalbumin­urie um acht Jahre vorausgeht [17]. Zum Zeitpunkt der suPAR-Messung hatten diese Patienten weder eine Nierenfunktionsstörung noch einen Typ-2-Diabetes entwickelt. Die Prädiktion zukünftiger Nierenerkrankungen und die Assoziation des suPAR-Spiegels mit einer erhöhten Progredienz prävalenter Nierenerkrankungen weist Ähnlichkeiten auf mit der Rolle des Cholesterins bei den kardiovaskulären Erkrankungen (Abbildung 1).       Abbildung 1: Der suPAR-Spiegel beeinflusst die gesunde und die kranke Niere. Ein normaler Spiegel steht für ein relativ geringes Risiko für eine Nierenneuerkrankung der gesunden Nieren und für ein relativ niedriges Risiko einer Progression einer bereits erkrankten Niere. Andererseits markiert ein hoher suPAR-Spiegel ein erhöhtes Risiko für eine Nierenneuerkrankung und ein relativ hohes Risiko einer schnelleren Progredienz einer bereits bestehenden Nierenerkrankung.     Was wird es bezüglich suPAR in Zukunft Neues geben?   Zurzeit laufen mehrere Studien, die retrospektiv und auch im Verlauf Patientenkohorten auf Serum- und Urin-suPAR untersuchen. Mehrere Tiermodelle wurden entwickelt, um die verschiedenen Formen von suPAR und deren Wirkung auf die Niere mit noch größerer Detailgenauigkeit aufklären zu können. Die bereits bekannte Assoziation von suPAR und den kardiovaskulären Erkrankungen soll weiter aufgeklärt werden. Hohe suPAR-Serumspiegel zeigen einen erstaunlichen Zusammenhang mit der kardiovaskulären Mortalität bei Patienten mit mild bis moderat eingeschränkter Nierenfunktion [18]. Es ist allerdings derzeit noch nicht ausreichend geklärt, ob suPAR, wie in der Niere, zur Pathogenese der Herzerkrankung beiträgt oder ob es sich bei suPAR in der Kardiologie vorrangig um einen reinen Biomarker handelt. Interessanterweise hat eine kürzlich publizierte Studie gezeigt, dass die Serumkonzentrationen von suPAR selbst bei Hämodialysepatienten mit kardiovaskulären Endpunkten wie Tod unabhängig assoziiert sind [19].   Eine flächendeckende Messung der suPAR-Spiegel zur Risikostratifizierung in der Nephrologie wird zunehmend an Bedeutung gewinnen. Studien, welche die funktionelle Rolle einer pathologisch veränderten suPAR bei FSGS näher beschreiben werden, laufen bereits. Jetzt ist es wichtig, die Rolle von suPAR auch bei anderen glomerulären Erkrankungen zu untersuchen. Hier kommen insbesondere die diabetische Nephropathie und die Lupus-Nephritis in Frage [17, 20]. Allerdings sind auch infektiöse Nierenerkrankungen, die mit einer Proteinurie einhergehen, wie zum Beispiel die Hantavirus-assoziierte Nephritis, möglicherweise durch Störungen im suPAR-Signalweg mitverursacht [21].   Der (s)uPAR-Integrin-Signalweg wird auch für die biopharmazeutische Industrie zunehmend interessant. Momentan wird in den USA eine klinische Studie durchgeführt, die – basierend auf der Effektivität eines alphVbeta3-Antikörpers bei diabetischen Schweinen [22] – dieses Integrin nun auch bei Patienten mit diabetischer Nephropathie zu blockieren versucht. Aus Tiermodellen haben wir gelernt, dass die Entfernung des uPAR-Gens keine übermäßig großen Risiken birgt. Knock-out-Mäuse bleiben lebensfähig und sind, soweit man das beobachten konnte, auch gesund. Eine suPAR-spezifische Intervention beim Menschen mit dem Ziel, suPAR zu neutralisieren, ist demnach eine mögliche und wahrscheinlich auch sichere Modalität, um das Gesamt-suPAR bei Patienten mit rekurrenter FSGS oder chronischen Nierenerkrankungen abzusenken und die Nierenfunktion zu verbessern. Eine solche Therapie könnte enorme Konsequenzen für die Nephrologie haben, möglichweise vergleichbar mit der Bedeutung, welche die Cholesterin-Hemmung für die Prävention und Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen erlangt hat.       Interessenkonflikt Professor Dr. Jochen Reiser ist Co-Gründer und Anteilsinhaber von TRISAQ, einer Biotechnologie-Firma, die suPAR als Target entwickelt.   Referenzen Grundy SM. HMG-CoA reductase inhibitors for treatment of hypercholesterolemia. N Engl J Med 1988; 319(1): 24–33. Thunø M, Macho B, Eugen-Olsen J. suPAR: the molecular crystal ball. Dis Markers 2009; 27(3): 157–72. Hahm E, Wei C, Fernandez I, Li J, Tardi NJ et al. 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