Für einen breiten PrEP-Nutzen brauchen wir eine GKV-Lösung

Interview mit Dr. Knud Schewe   Der 27. dagnä-Workshop in Köln stand im Zeichen der HIV-Prophylaxe PrEP. Im connexi-Interview erläutert Tagungsleiter und dagnä-Vorstand Dr. Knud Schewe, welche Fortschritte es gibt und was noch zu tun ist – nicht nur bei der PrEP.     Herr Dr. Schewe, bereits auf dem dagnä-Workshop 2016 wurde intensiv über die Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP) gesprochen. HIV-negative Menschen können sich damit durch die vorbeugende Einnahme von antiretroviralen Medikamenten vor der Infektion schützen. Nach dem Workshop 2017 war nun von einem „Durchbruch“ die Rede. Warum? In der Tat, die PrEP ist nicht erst seit gestern ein Thema für HIV-Schwerpunktbehandler. Mit der PrEP ist die Hoffnung verbunden, dass wir bei der HIV-Prävention einen wichtigen Schritt weiterkommen und Schutzlücken schließen können. Wenn neue Wege der HIV-Prävention helfen können, müssen wir sie nutzen. Wichtig ist: Es geht um eine Ergänzung, nicht um eine Konkurrenz zu den klassischen Präventionsangeboten. Da die Krankenkassen die Kosten nicht übernehmen, waren die hohen Kosten von über 800 Euro im Monat für sehr viele Interessierte eine zu hohe Hürde. Ich sage „waren“, denn auf dem 27.  dagnä-Workshop wurde die so genannte „50-Euro-PrEP“ vorgestellt: Erik Tenberken, HIV-Schwerpunktapotheker aus Köln, ist es gelungen, die PrEP in Deutschland auf Generika-Basis in Blisterverpackungen mit 28 Tabletten verfügbar zu machen. Das ist ein großer Fortschritt, den wir sehr begrüßen!     Sehen Sie bereits Auswirkungen in den Praxen? Ja, es gibt ein spürbares Interesse, vor allem in den Großstädten, aber noch ist es einfach zu früh für belastbare Aussagen. Prof. Hendrik Streeck, dagnä-Mitglied und Leiter des Instituts für HIV-Forschung der Universität Duisburg-Essen, wird die Umsetzung der „50-Euro-PrEP“ wissenschaftlich begleiten. Das ist gut und wird weitere Erkenntnisse bringen. Man kann im Übrigen nicht oft genug betonen, dass PrEP-Arzneimittel nicht frei von Nebenwirkungen sind. Ein PrEP-Einsatz muss deshalb eingebettet sein in ein Gesamtkonzept, regelmäßige ärztliche Kontrollen und Beratung durch HIV-Spezialisten etc. Die HIV-Schwerpunktzentren sind hier der richtige Ansprechpartner – womit wir, leider, schon bei einem weiteren Dilemma sind, da die jetzt kostengünstige Medikation eben nur ein Teil der Lösung ist …     Bei der PrEP geht es um eine Ergänzung, nicht um eine Konkurrenz zu den klassischen Präventionsangeboten.     Was fehlt aus Sicht der HIV-Schwerpunkt­behandler? Es wird in der öffentlichen Diskussion fast immer vergessen, dass die PrEP auch Kosten für die ärztliche Begleitung und die Laboruntersuchungen erzeugt. Rechtlich ist jedoch klar: Die zusätzlichen ärztlichen Leistungen einschließlich der Laboruntersuchungen dürfen nicht zu Lasten der GKV erbracht und abgerechnet werden. Für einen möglichst breiten Nutzen der PrEP, zusammen mit der notwendigen, beratungsintensiven Betreuung durch HIV-Spezialisten inkl. fairer Vergütung, brauchen wir also immer noch eine GKV-Lösung. Pate könnte die Empfängnisverhütungsregelung sein: Einerseits Selbstzahlerleistung, andererseits Abbildung der vertragsärztlichen Beratung im EBM. Dies wäre ein sinnvoller Schritt, um das Präventionspotenzial der PrEP zu nutzen. Denn: Unsere Zahlen zeigen, dass die PrEP nicht nur sinnvoll, sondern sogar kostensparend ist…   …Sie sprechen Berechnungen an, die die dagnä in Auftrag gegeben hat, wonach die PrEP kosteneffektiv sei. Genau. In Köln wurde eine Analyse der Universitäten Rotterdam und Duisburg-Essen, die im Auftrag der dagnä durchgeführt wurde, präsentiert: Die Zahlen zeigen, dass die PrEP ab 2018 bis zum Jahr 2030 etwa 9.000 HIV-Infektionen verhindern könnte. Die Neuinfektionsrate bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), würde um 34 % auf 1.450 pro Jahr fallen! Die PrEP wäre sogar zu den „alten“ Preisen kosteneffizient. Eine täglich eingenommene PrEP wäre bei Preisen unter ca. 5.800 Euro kostensparend, die „50-Euro-PrEP“ ist dies ohnehin. Zusammengefasst: Die PrEP ist eine effektive wie auch kostensparende Strategie zur HIV-Prävention bei Männern, die Sex mit Männern haben. Jetzt sind politischer Mut und Investitionsbereitschaft notwendig, um die langfristigen Vorteile zu erzielen.   Mehr als 40 % der therapienaiven Patienten sind Late Presenter. Es gibt starke Anzeichen für Versorgungsdefizite in Bezug auf eine frühe Diagnosestellung.   Bei aller Aufmerksamkeit für die PrEP scheint es bei der Post-Expositionsprophylaxe (PEP) als Sekundärprävention nicht voranzugehen. Warum passiert hier so wenig? Nun, die gesundheitspolitischen Mühlen mahlen mitunter langsam. Aber Sie haben Recht, die PEP ist als Sekundärprävention eminent wichtig. Wir brauchen dringend adäquate Rahmenbedingungen für den PEP-Einsatz. Schutzlücken für Versicherte und Regressrisiken bei leitliniengerechter Indikationsstellung für Ärzte müssen verhindert werden. Der Ärztetag in Freiburg im Mai 2017 hat sich dazu sinnvoll positioniert und angemessene Regeln vom Gemeinsamen Bundesauschuss (G-BA) und den Krankenkassen gefordert. Jetzt ist der G-BA am Zug. Wir hoffen, dass es im Jahr 2018 eine Entscheidung geben wird.   Ein Dauerbrenner der gesundheitspolitischen Diskussion sind die Late Presenter, also die Spätdiagnostizierten. Gibt es hier Fortschritte? Leider haben wir immer noch ein offenkundiges Problem. Die Zahlen der dagnä-Versorgungsforschung zeigen, dass über 40 % der therapienaiven Patienten ebensolche Late Presenter sind. Dies ist verhängnisvoll, da die Therapieoptionen anschließend medizinisch schwieriger und zugleich teurer sind. Es handelt sich zudem um ein Problem, das schon seit Jahren existiert – und bei dem wir endlich vorankommen müssen. Es gibt zu wenige vielversprechende Ansätze, etwa bei der AXA Krankenversicherung, die wir bei einem Modellprojekt unterstützen: Diagnostiziert der Hausarzt eine typische HIV-Indikatorerkrankung, erscheint ein elektronischer Versorgungshinweis, ob nicht ein HIV-Test sinnvoll sein könnte. Wir sind gespannt auf die ersten Erfahrungen. Und natürlich hoffen wir auf den Innovationsfonds.   Was kann vom Innovationsfonds erwartet werden? Besseres Wissen und neue Ideen. Wir freuen uns sehr, dass unser Antrag zur Versorgungsforschung beim Innovationsfonds erfolgreich war. Es gibt starke Anzeichen für Versorgungsdefizite in Bezug auf eine frühe Diagnosestellung. Zusammen mit Prof. Jürgen Wasem wollen wir untersuchen, welche Rahmenbedingungen zu der erwähnten hohen Anzahl von Late Presentern führen. Konkret geht es um die Ermittlung der patientenseitigen Charakteristika, die zu einer Verzögerung der Diagnose einer HIV-Infektion führen sowie um die Identifikation der typischen Diagnosen und Stellen im Gesundheitswesen, an denen diese Patientengruppe im Rahmen HIV-assoziierter Erkrankungen vorstellig wird. Abschließend werden wir Strategien zur strukturellen Verbesserung erarbeiten. Mitte 2018 geht es los.   Abseits von Prävention und Late Presentern: Was wurde auf den großen Kongressen diskutiert? Bemerkenswert ist der Rückgang der Sterblichkeit an AIDS um 30 % seit 2010 und der HIV-Neuinfektionsraten in vielen Ländern der Welt durch vermehrten Zugang zu antiretroviralen Therapien. Besorgniserregend hingegen ist die Zunahme der Resistenzentwicklung und Übertragung von primär resistenten Viren in Entwicklungs- und Schwellenländern, welche diese Erfolge gefährden können. Die starke Zunahme ein HIV-Neuinfektionen in Osteuropa und Zentralasien sowie Diskriminierung von „Key Populations“ (Drogengebraucher, Sex- Worker, MSM) stellen neue Herausforderungen dar. Im Rahmen des von der dagnä und DAIG durchgeführten Webinars IAS 2017 wurden die wichtigsten Inhalte der diesjährigen IAS zusammengefasst: Neue Therapiestrategien zur Behandlung der HIV-Infektion, neue Applikationsformen von anti­retroviralen Medikamenten und neue Ansatzpunkte antiretroviraler Medikamente bieten spannende Optionen bei vorbehandelten und nicht vorbehandelten Patienten.     Herr Dr. Schewe, vielen Dank für das Gespräch.   Dr. Knud Schewe ist Sprecher des dagnä-Vorstandes.     Copyright Bild:  virus von dagnä e.V., Moleküle von Shutterstock® lyricsalma   Interview mit:           Dr. med. Knud Schewe schewe@dagnae.de                       aus connexi  10-2017 AIDS und Hepatitis dagnä-Workshop 2017 in Köln Kongressbericht       Titelbild Copyright dagnä e.V. Gestaltung: Jens Vogelsang, Aachen    
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