Lebensstil, Ernährung, Umwelt

Was können wir selbst tun – wo sind unsere Grenzen?   von Günther Bittel, Duisburg     Die Arbeitsproduktivität hat sich in Deutschland seit 1995 mehr als verdoppelt. Gleichzeitig waren im Januar 2017 offiziell 2,78 Millionen Menschen arbeitslos. Die Vollzeitarbeitsplätze gingen von 2000 bis 2015 um 1,48 Millionen zurück. Teilzeit- und Minijobs nahmen um 4,22 Millionen auf 14,82 Millionen zu. 16 Millionen Menschen, darunter ein Viertel Kinder, sind heute arm oder armutsgefährdet. Eigentlich ein Skandal in einem reichen Land, sicher aber auch ein medizinischer Faktor!   Seit Einführung von Hartz IV haben sich Niedriglöhne, Leiharbeit, Werkverträge und Minijobs drastisch ausgeweitet – jeder dritte Beschäftigte ist schon betroffen. Im Jahr 2013 erkrankten bundesweit rund 480.000 Männer und Frauen an Krebs. Damit hat sich die Zahl der Krebsneuerkrankungen in Deutschland bezogen auf 1970 fast verdoppelt. 50 % der Männer und 43 % der Frauen erkranken heute im Verlauf ihres Lebens an Krebs.   Im Zuge der internationalen Veränderungen in Produktion, Gesellschaft und Umweltbedingungen werden auch viele neue Krankheiten weltweit in steigender Zahl diagnostiziert: chronisches Müdigkeitssyndrom (CFS-ME), Fibromyalgie-Syndrom (FMS), multiple Chemikalien-Empfindlichkeit (MCS).   23 Millionen Menschen in Deutschland mit chronischen Schmerzen kann und muss man als „Epidemie“ bezeichnen. Bei den genannten Krankheitsbildern und vielen anderen chronisch-entzündlichen Multi­system­erkrankungen werden auch in der Grundlagenforschung immer deutlichere Bezüge zu Umweltbelastung und chronischer Stressreaktion nachgewiesen.     Fortschritt – Wohlstand und Kontraste   Was sagt der Weltkrebsbericht 2014 zu den Ursachen der weltweit steigenden Zahl der Krebserkrankungen? Nur 5 % aller Krebserkrankungen sind genetisch bedingt, 50 % aller Krebserkrankungen lassen sich auf den Einfluss von Essen und Trinken zurückführen, 30 % sind durch Rauchen bedingt, 15 % sind durch Umweltschadstoffe und weitere Umweltfaktoren bedingt. Nicht nur Krebs und die oben erwähnten „neuen“ Krankheitsbilder nehmen zu. Auch die Zunahme uns wohlbekannter Krankheiten von Diabetes mellitus über neurodegenerative Erkrankungen bis zur chronischen Polyarthritis führen zu einer wachsenden Problematik im Gesundheitswesen, auch in Bezug auf die gesellschaftlichen Folgen. Auch bei diesen Erkrankungen sind Zusammenhänge zu Lebensweise, Ernährung, Überreizung, anhaltendem Negativ-Stress und einer wachsenden Zahl toxischer Substanzen evident.   Fortschritt und Rückschritt – Wohlstand und Elend   Laut UNO könnte die Welt 12 Milliarden Menschen ernähren. Noch nie erreichte sprunghafte Fortschritte in Wissenschaft und Technik eröffnen die Option des Ausstiegs aus Atomenergie und fossiler Verbrennung durch erneuerbare Energien. Das Potenzial einer umfassenden Kreislaufwirtschaft und für einen neuen qualitativen Sprung in Medizin und Gesundheitswesen ist gegeben.   Realität ist aber auch: 65 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht, Tendenz steigend. Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind. Kriege, Terror, Katastrophen, Stress, Schadstoffe führen zu emotionaler Belastung, zu individuellen und gesellschaftlichen Ängsten.     Die Gefahren dysfunktionaler Verarbeitung bei Schmerzpatienten   Angst und Panik werden somatisiert und externalisiert. Das gegenteilige Extrem der Ignoranz und Verharmlosung realer Bedrohungen findet sich ebenfalls bei Schmerzpatienten gehäuft. Gesellschaftlich wie auch in der Gesundheitsversorgung wird die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels erkennbar.   Der Weg der positiven Alternativen heißt auch für Patienten wie Behandler: Selbstveränderung! Ohne Ausschaltung von Noxen, aber auch ohne Förderung und Stärkung von Ressourcen kein Therapieerfolg! Die Symbiose von Schmerzmedizin, Umweltmedizin, Naturheilverfahren und psychosomatischer Medizin eröffnet uns ein sehr weites Feld der wirklichen Salutogenese.   Sie bietet den Patienten wie den Schmerztherapeuten die Chance, von der reinen Verordnung von „Anti“-Medikamenten zu positiven Konzepten und Fokussierung auf das Erlernen und Erleben gesunder Verhaltensweisen und Funktionen überzugehen. Die drei Basismaßnahmen für jeden chronisch Kranken und zur Gesundheitserhaltung sind:     gesunde Ernährung durch biologische Vollwertkost,     richtige und ausreichende Bewegung an der frischen Luft,     Schlaf, Erholung und Entspannung im richtigen Verhältnis zu Anstrengung und Anspannung. Ausdauersport im Flow-Bereich bewirkt eine Desensibilisierung der Schmerzrezeptoren und Neubildung von Mitochondrien, führt zur Gewichtsreduktion, hat antidepressive und antikanzerogene Wirkung, führt zum Arthrose-Rückgang.   Die klassischen Entspannungsverfahren und Biofeedback bilden die Basis für eine emotionale Stabilisierung und Reduktion stressinduzierter Entzündungs- und Erschöpfungsprozesse.  Darüber hinaus kann sich eine ganzheitliche Schmerzmedizin auf folgende wichtige Behandlungsoptionen stützen: • Heilfasten Heilfasten nach Buchinger als Gruppenangebot im Schmerzzentrum. Fast alle teilnehmenden Schmerzpatienten berichten deutliche Schmerzreduktion, bessere Stimmung, Energie und Beweglichkeit. Die durchschnittliche Gewichtsreduktion beträgt 4 kg.   • Hyperthermie Ganzkörper-Hyperthermie, regionale Hyperthermie: Erfolge in der Behandlung des Fibromyalgie-Syndroms, von Depressionen, in der Krebstherapie sind dokumentiert.   • Behandlung mit Naturstoffen Optimal über eine entsprechende Ernährung, z. B. Omega-3-Fettsäuren aus Leinöl, Polyphenole aus Beeren etc.   • Probiotische Therapie Einhundert Billionen Darmbakterien sind eine Macht, die Dysbiose greift tief in körperliche und emotionale Prozesse ein und muss bei chronisch Kranken regelhaft therapiert werden.   • Weitere Optionen Regulationsmedizin (Neuraltherapie, Akupunktur u. a.), die Medizin der Emotionen (EMDR, Hypnose, NLP u. a.)     Die Grenzen der Umwelt­dekom­pen­sa­tion­ rücken immer näher – was tun?   Umweltmedizin, Schmerzmedizin, Regulationsmedizin und gesellschaftliches Engagement bilden keinen Widerspruch, sondern konsequent betrachtet eine Einheit. Das Engagement für wirklichen Umwelt- und Klimaschutz bereichert auch unser ärztliches Handeln. Es wäre auch objektiv falsch und eine einseitige Schuldzuweisung an die Betroffenen, alle Gesundheitsprobleme oder Schmerzen für individuell lösbar zu erklären.   Wenn wir die globale Umweltkatastrophe verhindern wollen, brauchen wir eine Gesellschaft mit dem Primat der Einheit von Mensch und Natur. Auch dann wird es selbstverständlich noch viele Krankheiten geben, die zum menschlichen Leben eben dazu gehören. Aber durch einen grundlegenden Paradigmenwechsel kann dann die Umweltkrise und allgemeine Krise der menschlichen Gesundheit gestoppt und wieder ins Gegenteil verkehrt werden.        Quellen und weiterführende Literatur Servan-Schreiber D. Die neue Medizin der Emotionen. 7. Auflage, Wilhelm Goldmann Verlag, München, 2006. Servan-Schreiber D. Das Antikrebs-Buch. 6. Auflage, Wilhelm Goldmann Verlag, München, 2007. von Baehr V et al. IMD Berlin-Potsdam, Online-Fortbildungsreihe. http://www.imd-berlin.de/imd-labor/service/fortbildungen/fortbildung.html Engel S. Katastrophenalarm: Was tun gegen die mutwillige Zerstörung der Einheit von Mensch und Natur? 4. Auflage. Verlag Neuer Weg, 2014. Enders G. Darm mit Charme. Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin, 2014 Dobos G, Paul A (Hrsg). Mind-Body-Medizin, Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH, 2011     Copyright Bild:  birdys / photocase.de   Autor:           Dr. med. Günther Bittel praxis.bittel@t-online.de       aus connexi  9-2017 SCHMERZ- und PALLIATIVMEDIZIN Deutscher Schmerz- und Palliativtag in Frankfurt 2017 Kongressbericht    
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