NOAK-assoziierte Blutung

Prothrombinkomplex-Konzentrate senken nicht das Nachblutungsrisiko von Hagen Huttner und Stefan Gerner, Erlangen     In den letzten Jahren wurden nicht-Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulantien (NOAKs) zunehmend zur oralen Antikoagulation verwendet, da sie im Vergleich zu den herkömmlichen Vitamin-K-Antagonisten (VKA) weniger Blutungskomplikationen aufweisen [1]. Trotz ihrer weiten Verbreitung im klinischen Alltag sind viele Fragen des Akutmanagements im Falle einer NOAK-assoziierten Blutungskomplikation ungeklärt.   Primärer Angriffspunkt ist die Normalisierung der alterierten Gerinnung durch Gabe prothrombotischer Substanzen. Während für Dabigatran ein spezifisches Antidot (Idarucizumab) zur effektiven Antagonisierung der antikoagulatorischen Wirkung zur Verfügung steht [2, 3], ist das Antidot Andexanet Alfa derzeit noch nicht von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) für Faktor-Xa-Inhibitor-assoziierte Blutungen zugelassen [4]. Die Internationalen Leitlinien empfehlen derzeit die Gabe von Prothrombinkomplex-Konzentraten (z. B. PPSB) bei schwerwiegenden Blutungskomplikationen unter Faktor-Xa-Inhibitoren [2, 5]. Diese Empfehlungen beruhen hauptsächlich auf kleineren Fallserien oder experimentellen Überlegungen [5, 6], wohingegen aktuell kaum Daten aus größeren klinischen Beobachtungsstudien zur Verfügung stehen, die den Nutzen einer Behandlung mit PPSB bei Blutungen unter NOAK belegen [7]. Insbesondere ist der Stellenwert der PPSB-Therapie bei der NOAK-assoziierten intrazerebralen Blutung (ICB) bislang unklar.   Zielsetzung der im Folgenden dargestellten, bereits veröffentlichten Arbeit war die Klärung, inwieweit durch PPSB-Gabe eine Größenzunahme der ICB verhindert und somit möglicherweise klinische Endpunkte positiv beeinflusst werden können [8].     RETRACE II-Studie   Im Rahmen der multizentrischen deutschlandweiten Observationsstudie RETRACE II (ClinicalTrials.gov Identifier: NCT03093233) wurden Patienten mit ICB unter oraler Antikoagulation über einen Zeitraum von fünf Jahren von 2011−2015 an 19 deutschen neurologischen und neurochirurgischen Zentren eingeschlossen [8]. Insgesamt konnten 190 Patienten mit NOAK-ICB identifiziert werden, von denen 146 für die Analyse eines Hämatomwachstums geeignet waren. Die Nachblutungsrate, definiert als Hämatomprogression >33 % im Vergleich zum Blutungsvolumen in der initialen Bildgebung, lag bei 33,6 %, wobei sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den einzelnen NOAK-Substanzen ergaben. Zwei Parameter, nämlich zum einen systolische Blutdruckwerte über 160 mmHg innerhalb der ersten Stunden nach Aufnahme sowie die substanzspezifisch-kalibrierte Anti-Faktor-Xa-Aktivität bei Aufnahme von über 118 ng/ml, waren signifikant mit dem Auftreten eines Hämatomwachstums assoziiert.   Therapeutisch wurden insgesamt nur bei ca. zwei von drei Patienten mit NOAK-assoziierter ICB PPSB in der Akutphase verabreicht. In der adjustierten Analyse zeigte sich die PPSB-Gabe vor Kontroll-Bildgebung nicht mit einer Reduktion der Nachblutungsrate assoziiert (Risk-Ratio (95 %CI): 1.150 (0.632−2.090); p=0.647). Diese Beobachtung bestätigte sich in den Subanalysen zur PPSB-Dosierung (25 IE/kg und 50 IE/kg Körpergewicht), des Zeitfensters und der NOAK-Wirkstoffklasse (Faktor-Xa-Inhibitoren). In diesen ließ sich keine Subgruppe isolieren, die einen Benefit von PPSB in Bezug auf eine Vermeidung der Blutungsprogression zeigte [8]. Allerdings waren systolische Blutdruckwerte von <160 mmHg nach vier Stunden mit einer signifikanten Reduktion der Nachblutungsrate assoziiert (Risk-Ratio (95 %CI): 0.598 (0.365−0.978); p=0.041). Insgesamt ergab sich kein Unterschied in der Mortalität und dem funktionellen Outcome nach drei Monaten zwischen Patienten mit und ohne PPSB-Behandlung [8].     Fazit   Die Ergebnisse der oben beschriebenen Studie bekräftigen Zweifel an der hämostatischen Wirksamkeit von PPSB bei Patienten mit Blutungskomplikation unter Faktor-Xa-Inhibitoren [5, 6], was vor dem Hintergrund verschiedener Wirkmechanismen, verglichen mit VKA plausibel erscheint. Andererseits konnte die vorliegende Studie auch nicht ausschließen, dass PPSB bei Faktor-Xa-Inhibitor-assoziierter ICB einen eventuellen Nutzen gegenüber keiner entsprechenden Therapie aufweist [8], wenn auch die Effektgröße deutlich kleiner als die von PPSB bei VKA-assoziierter ICB ist. Daher wird – nicht zuletzt aufgrund eines Mangels an Alternativen (derzeit ist unklar, ob und wenn ja wann Andexanet Alfa in Europa zur Verfügung stehen wird) – weiterhin die Gabe von (in)aktivierten Gerinnungskonzentraten (z. B. PPSB 50IE/kg KG) zur Behandlung der Faktor-Xa-Inhibitoren-assoziierten ICB in den Leitlinien propagiert, auch wenn ihre Wirksamkeit bislang nicht ausreichend belegt werden konnte [2, 5].            Referenzen: Steinberg, B A, Gao H, Shrader P et al. Am Heart J 2017;194: 132−140. Steffel, J, Verhamme P, Potpara T S et al. Eur Heart J 2018;39:1330−1393. Pollack, C V, Jr., Reilly P A, van Ryn J. NEJM 2017; 377:431−441. Übersicht der aktuell von der EMA geprüften Medikamente (Stand Januar 2019). URL: https://www.ema.europa.eu/documents/report/applications-new-human-medicines-under-evaluation-chmp-january-2019_en.pdf Frontera, J A, Lewin J J, 3rd, Rabinstein A A et al. Crit Care Med 2016;44:2251−2225. Shaw, J R and Siegal D M. Res Pract Thromb Haemost 2018;2:251−265. Majeed, A, Agren A, Holmstrom M et al. Blood 2017;130: 1706−1712. Gerner, S T, Kuramatsu J B, Sembill J A et al. Investigators  Ann Neurol 2018;83:186−196.       Bild Copyright: iStockphoto® Chayanan   Lesen Sie diesen und weitere spannende Beiträge in unserer Online-Ausgabe.     Autoren:           Prof. Dr. Dr. med. Hagen Huttner hagen.huttner@uk-erlangen.de                 Dr. med. Stefan Gerner stefan.gerner@uk-erlangen.de                     aus connexi  3-2019 NEUROLOGIE, NEUROINTENSIVMEDIZIN Neurowoche 2018, ANIM 2019 Kongressberichte       Titelbild Copyright: Alexey Kashpersky, Ukraine; Fotolia® Johan Swanepoel. Gestaltung: Jens Vogelsang      
Neueste Artikel

 

Kontaktieren Sie uns

 

 

 

Folgen Sie uns