Diabetesremission, (k)ein Hungerlohn

Typ-2-Diabetes bei Adipositas Diabetesremission, (k)ein Hungerlohn von Nina Marie  Tosca Meyer, Stefan Kabisch und Andreas F. H. Pfeiffer, Berlin     Diabetes wird häufig noch mit Dicksein und dem übermäßigen Konsum von Schokoriegeln verbunden. Es ist auch etwas dran: Nicht nur, dass Diabetes eng mit Adipositas assoziiert ist, auch spielt die Nahrungsqualität in der Krankheitsentstehung eine wichtige Rolle. Ganz so einfach ist es trotzdem nicht. So gibt es sowohl schlanke Menschen mit, als auch Dicke ohne Diabetes – und das sind keine Raritäten [1].   Gewichtszunahme ist eine typische Ursache für die Manifestation von Typ-2-Diabetes; Gewichtsverlust drängt die Krankheit oftmals zurück. Dies zeigt eine aktuelle Studie an britischen Patienten mit relativ frischer Diabetesdiagnose. Gewichtsreduktion um etwa 15 kg führte bei etwa 85 % dieser Patienten zu einer Remission des Diabetes. Diabetesremission ist definiert durch einen HbA1c-Wert von unter 6,5 % ohne Diabetesmedikation, mindestens ein Jahr nach Gewichtsreduktion. Das Ausgangsgewicht erschien hierbei unerheblich [2]. Ähnliche Ergebnisse zeigte eine unabhängige Studie, in der auf kohlenhydratarme Ernährung kombiniert mit erheblicher Gewichtsreduktion gesetzt wurde [3].   Ebenso wichtig wie das absolute Gewicht scheint also die Gewichtsdynamik zu sein. In der Nurses Health Study war ein BMI von 23,4 kg/m² mit einem verdoppelten Diabetesrisiko gegenüber einem BMI von 21 kg/m² assoziiert [4]; Gewichtszunahme von etwa 4–5 kg verdoppelte das Diabetesrisiko erneut. In Kombination erklärt sich das potenzierte Diabetesrisiko bei massivem Übergewicht.   Doch wodurch passiert das? Gewichtszunahme beruht wesentlich auf der Fettmasse. Dabei ist aber die Speicherkapazität des physiologischen Unterhautfettgewebes limitiert [5]. Zusätzliches Fett lagert sich ektop ab: in Leber, Pankreas, Muskulatur, aber auch in Endothelzellen. Diese Gewebe werden dadurch in ihrer Funktion beeinträchtigt. Die Lokalisation des Fetts ist also relevant: im Bereich der unteren Körperhälfte stellt es wahrscheinlich eher einen metabolischen Schutzfaktor dar [5], oft zu finden beim Phänotyp der „gesunden Dicken“ (Metabolically Healthy Obese, kurz MHO). Abdominelles oder viszerales Fett dagegen führt zu ungesunder Adipositas [6]. Diese ist – durch teils noch unklare Mechanismen – mit den Komponenten des metabolischen Syndroms assoziiert: Bluthochdruck, Hyperglykämie, Dyslipidämie, subklinische Inflammation, Hyperurikämie. Jüngere Frauen erfüllen häufiger den MHO-Phänotyp, aber selbst diese Personengruppe hat ein deutlich höheres kardiovaskuläres Risikoprofil im Vergleich zu Schlanken [4].   Wie genau kommt es zu Diabetes bei ungesunder Adipositas?   Ektope Fettspeicherung führt zur Insulinresistenz, schwächt also die Glukoseaufnahme in die Zelle und entfesselt die hepatische Glukoneo-genese. Zudem werden die -Zellen des Pankreas dabei eingeschränkt, Insulin zu produzieren [1, 7]. Der hierdurch steigende Blutzucker wirkt nicht nur direkt gewebstoxisch, sondern fördert auch die weitere Einlagerung von Fett: ein Teufelskreis also [7]. Wer aber durch Gewichtsabnahme sein Organfett stark absenkt, profitiert oftmals besonders stark hinsichtlich des Blutzuckers [8, 9].   Warum einige einen BMI von über 30 erreichen können, bis sie diabetisch werden, andere das aber schon bei 25 tun, ist jedoch weiterhin nicht geklärt. Entscheidend ist wohl, wie empfindlich man gegenüber den biochemischen Effekten ist, die durch den Fettüberschuss auf die Gewebe ausgeübt werden. Eine Theorie ist daher, dass jeder Mensch eine individuelle „Fett-Schwelle“ hat, ab der er Insulinresistenz und damit Diabetes entwickelt [1]. Wie bei allem spielt also Genetik auch hier eine große Rolle [10]. Dennoch ist man selbst bei genetisch „ungünstiger“ Ausgangssituation seinem Schicksal nicht machtlos ergeben, denn Genetik und Umwelteinflüsse interagieren. Ein gesunder Lebensstil – körperliche Aktivität, ausgewogene Ernährung – kann die Ausprägung einer ungünstigen genetischen Variation unterdrücken [1, 11, 12].   Aus gutem Grund stellt daher eine Lebensstilverbesserung die Grundlage der metabolischen Therapie dar. Erst bei Versagen dieses Ansatzes soll auf medikamentöse Regime zurückgegriffen werden: von oralen Antidiabetika bis hin zu Insulingaben. Ähnlich verhalten sich die Eskalationsstufen in der Adipositastherapie, der als Ultima Ratio der operative Eingriff offensteht. So jedenfalls lauten die Leitlinien.   Leitlinien empfehlen Lebensstiländerung   Paradoxerweise erfahren allerdings gerade die beiden letztgenannten Therapie-Arme immer mehr Zulauf: sowohl in der Praxis als auch in der Forschung. In den wenigsten Fällen der alltäglichen ärztlichen Praxis wird wirklich erst der Weg über eine Lebensstiländerung gegangen [13]. Gründe dafür mögen – sowohl auf Arzt als auch auf Patientenseite – mannigfaltig sein. Letztlich ist es wohl zum großen Teil eine Frage des Komforts: eine Umstellung des Lebensstils ist anstrengend, erfordert Mühe und Ausdauer – sowohl für Arzt, als auch für Patient. Pharmako-therapie und metabolische Chirurgie dagegen passieren eher passiv. Das ist einerseits für beide Parteien bequemer, andererseits für weitere Beteiligte zusätzlich lukrativer. Natürlich haben aber auch diese Therapien ihre Vorteile und Berechtigungen: Die derzeit favorisiert eingesetzten Antidiabetika, Metformin, GLP-1-Analoga und SGLT2-Hemmer, gelten als besonders effektiv in der Blutzuckersenkung. Darüber hinaus haben sie nicht nur gewichtsreduzierende Aspekte, sondern auch kardiovaskuläre Vorteile. In puncto Diabetesremission sind sie zudem besonders interessant, da sie einer Leberverfettung entgegenwirken. Die gerade in Deutschland sehr extensive Nutzung von Insulin wird dagegen immer mehr in Zweifel gezogen. Jede akute Senkung des Blut-zuckerspiegels wird mit verstärkter Fettspeicherung erkauft, also Gewichtszunahme und verstärkter Insulinresistenz.   Derzeit wird intensiv an neuen Präparaten geforscht, die Insulinsekretion und -sensitivität gleichzeitig verstärken sollen, sogenannte Multitaskers [14].   Bariatrische Chirurgie führt über eine stark gedrosselte Kalorienzufuhr sowie ein verändertes Inkretinmuster zur Verbesserung der -Zellfunktion sowie Erhöhung der Insulinsensitivität und wirkt auf diese Weise einem gestörten Zuckerstoffwechsel entgegen [9, 14].   Gänzlich ungeeignet zur Diabetesremission dagegen ist die Fettabsaugung. Während eine bariatrische Operation mitunter den Rückgang von Organfett verursacht, wird bei der Liposuction isoliert das Unterhautfettgewebe entfernt. Verloren gehen also ausgerechnet die physiologischen Fettdepots, die der Organverfettung entgegenwirken; somit steigt letztlich sogar das Diabetesrisiko [5, 10].   Letztlich ahmen sowohl Diabetesmedikamente als auch restriktive Magen-Darm-Operationen nur das nach, was ebenso allein durch Lebensstil-therapie erreicht werden könnte – zu deutlich höheren Kosten, wenn auch mit höherer Compliance [13, 15]. Das jedoch könnte sich ändern.   Wie genau wirkt eine Lebensstilveränderung?   Die Grundpfeiler einer Lebensstiltherapie sind allgemeinhin bekannt: „richtige“ Ernährung, körperliche Aktivität und Verzicht auf Tabakkonsum. Was genau jedoch eine Lifestyle-Intervention so effektiv macht, das kristallisiert sich nun immer mehr heraus.   Very Low Calorie Diet [VLCD] Bei nutritiven Ansätzen gilt der Leitsatz: weniger ist mehr. Diäten mit besonders niedrigem Kaloriengehalt erweisen sich als sehr effektiv. Im Tiermodell wie auch beim Menschen ist hypokalorische Diät zur Diabetesremission wirksam [2, 16], bei Ratten sogar unabhängig von Gewichtsreduktion [16]! Drei molekulare Mechanismen werden hierfür diskutiert: verminderter Abbau von Glykogen, gedrosselte Glukoneogenese sowie reduzierte Fettanreicherung in der Leber. Demnach läge der Erfolg von jeglichen Diäten an deren Eigenschaft, Leberfett zu reduzieren, wodurch sich die hepatische und globale Insulin-empfindlichkeit deutlich steigern ließe [16]. Grundvoraussetzung der Diabetesremission ist aber die noch intakte Sekretionsfähigkeit der pankreatischen -Zellen [17].   Naheliegend ist daher die Frage, ob Diäten abseits von Hypokalorie das Organfett reduzieren oder gar die ß-Zellen stärken können. Reduktion von Kohlenhydraten [3, 13, 18, 19] und vermehrte Proteinaufnahme könnten dies möglicherweise leisten; Daten zur Leberfettreduktion stimmen hoffnungsvoll [20]. Dies liegt am ehesten an der verminderten Synthese von Triglyceriden unter dieser Diät [19, 21, 22]. Was die  ß-Zellen betrifft, so könnten vielleicht auch sie besonders auf diesen Mechanismus ansprechen. Denn wie gezeigt werden konnte, wird die Funktion der ß-Zellen insbesondere durch einen Überschuss an freien Fettsäuren herabgesetzt [9, 14]. Interessanterweise erwiesen sich die genannten Diätformen auch protektiv in Hinblick auf kardiovaskuläre Mortalität zumindest unter pflanzenbasierter Kost [23–25].   Was die Compliance angeht, so stellen sich derzeit gerade die Low-Carb-Diäten als besonders vorteilhaft heraus [13]: insbesondere durch den hohen Sättigungseffekt einer gesteigerten Proteinzufuhr. Diese wiederum kommt auch dem zweiten Grundpfeiler der Lebensstiltherapie zugute:   Exercise   Bewegung trägt nicht nur zur negativen Energiebilanz bei, sondern wirkt ebenfalls unabhängig von Gewichtsverlust stark protektiv bezüglich Typ-2-Diabetes und kardiovaskulären Erkrankungen [26–30]. Speziell das High Intensity Interval-Training erweist sich derzeit als vielversprechend in Hinblick auf Effektivität und Effizienz [31]. Vor allem Letzteres macht es insbesondere bezüglich Compliance interessant.   In jedem Falle fördert Muskelaktivität per se die Insulinsensitivität [32] und induziert darüber hinaus weitreichende epigenetische Veränderungen [14].   Lebensstilmaßnahmen sollten in der Diabetestherapie also nach wie vor Mittel der ersten Wahl sein. Durch strukturierte Programme und aktuelle evidenzbasierte Konzepte könnte sowohl Patienten als auch Therapeuten geholfen werden es einzusetzen.          Referenzen Taylor R, Holman RR. 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Pfeiffer afhp@charite.de                 aus connexi  4-2019 DIABETES und ADIPOSITAS DDG Herbsttagung 2018, DAG Jahrestagung 2018 Kongressberichte       Titelbild Copyright: mauritius images / Science Source / Don W. Fawcett; Adobe Stock® Olga Moonlight; Adobe Stock® nikolamirejovska; Senseonics. Gestaltung: Jens Vogelsang      
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