Herz-Kreislauf-Medizin 2021

Grenzen überwunden, neue Welten entdeckt Wie so viele medizinische Kongresse stand die 87. DGK-Jahrestagung im April ganz im Zeichen der vielen Veränderungen, die sich durch die Coronapandemie ergeben haben. Sie fand vollständig im virtuellen Raum statt, stand jedoch weder organisatorisch noch inhaltlich den gewohnten Präsenzveranstaltungen nach, so das einhellige Votum vieler Teilnehmer. In zahlreichen verschiedenen Veranstaltungsformaten wurde ein breites kardiologisches Themenspektrum angeboten. Aber COVID-19, mit all den damit verbundenen Folgen nicht nur aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht, sondern auch bezüglich struktureller, politischer und sozialer Aspekte, zog sich wie ein roter Faden durch das gesamte Programm. Das bereits 2019 konzipierte Leitthema „Grenzen überwinden, neue Welten entdecken“ erhielt so eine völlig neue Dimension.  In Bezug auf den klinischen Alltag in der Kardiologie wurden neue, durch die SARS-CoV-2-Pandemie entstandene Grenzen für Ärzte und Patienten spürbar. Behandlungen wurden abgesagt oder verschoben und die Behandlungskapazitäten zeitweise massiv reduziert. Oft waren Flexibilität und Kreativität mehr gefragt denn je. Die finanziellen Folgen für Kliniken und Praxen bleiben auch mittelfristig noch eine enorme Herausforderung. Gleichermaßen ist die kardiovaskuläre Forschung und Lehre von den Einschränkungen betroffen. So bestimmte die Coronapandemie zwar den Alltag in allen Lebensbereichen, ohne jedoch die Versorgung, die Forschung und die Translation der Ergebnisse in die Praxis zu paralysieren.  Erfolgsgeschichte ist kein Ruhekissen Trotz bestehender Defizite und z. T. offener Fragen in Zusammenhang mit Folgen von COVID-19 für das Herz-Kreislauf-System, Impfungen, Long-Covid usw. besteht kein Zweifel, dass sich dank vieler neuer diagnostischer Verfahren und therapeutischer Optionen die Versorgung herzkranker Patienten in Deutschland auch im Jahr der Corona­pandemie auf sehr hohem Niveau befand. Und es hat auch weitere grundlegende Verbesserungen gegeben, wie z. B. bei der medikamentösen Therapie der Herzinsuffizienz, bei den Behandlungsmöglichkeiten im Bereich der Rhythmusstörungen, in der kathetergestützten Herzklappentherapie oder auch in der jungen Disziplin der onkologischen Kardiologie, wie bei der DGK-Jahrestagung deutlich wurde.  Trotz der Zunahme bei der Erkrankungshäufigkeit ist es gelungen, die Sterblichkeit bei Herzinsuffizienz und Herzrhythmusstörungen zu senken, wie die aktuellen Zahlen des von der deutschen Herzstiftung herausgegebenen Herzberichts zeigen. „Auf dieser Erfolgsgeschichte dürfen wir uns aber keinesfalls ausruhen. Herz-Kreislauf-Er­krankungen sind seit Jahren und mit Abstand Todesursache Nummer eins in Deutschland und aufgrund der zunehmenden Fallzahlen gibt es keinen Anlass zu glauben, dass sich das in absehbarer Zukunft ändern wird“, warnt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie Prof. Dr. Stephan Baldus.Die Herzinsuffizienz ist mittlerweile der häufigste Krankheitsgrund für Krankenhausaufnahmen (ca. 490.000 in Deutschland im Jahr) und „wir werden in den nächsten Jahren auch weiterhin steigende Patientenzahlen mit der Diagnose Herzinsuffizienz sehen“, so Baldus. „Die Herzinsuffizienz ist häufig die Folge und das Endstadium vieler anderer Herz-Kreislauf-Erkrankungen, deren Häufigkeit leider ebenfalls zunimmt.“ Ein Beispiel dafür ist die Mitralklappeninsuffizienz. Wird diese behandelt, verbessert sich nicht nur die Überlebenswahrscheinlichkeit, sondern auch die Lebensqualität der Patienten enorm. Die Mitralklappeninsuffizienz kann inzwischen sehr gut interventionell behandelt werden, vor allem wenn das Risiko für eine Operation am offenen Herzen zu groß wäre. Neue Welten Zu den neuen Welten, die sich in der Kardiologie aufgetan haben, gehören Themen wie Big Data und künstliche Intelligenz sowie digitale Medizin, E-Health und Telemedizin, konstatierte Frau Prof. Hilfiker-Kleiner.  Gleichzeitig zeigen auch neue Leitlinien, beispielsweise zum Management von Vorhofflimmern und dem akuten Koronarsyndrom (NSTE-ACS), neue Welten der Therapiemöglichkeiten auf. Außerdem rücke die Sensibilität für eine interdisziplinäre Kardiologie immer mehr in den klinischen Alltag, betonte die Präsidentin. Mit neuen Medikamentenklassen, die einen deutlich positiven Einfluss auf die Lebenserwartung von Patienten mit Herzinsuffizienz haben, stehen für die Behandlung der Herzinsuffizienz (HFrEF) nunmehr fünf Optionen zur Verfügung: ACE-Hemmer, Betablocker, SGLT2- und ARN-Inhibitoren sowie Mineralokortikoidrezeptor-Antagonisten (MRA). SGLT2-Hemmer mit neuen Indikationen Die im letzten Jahr eingeführten, ursprünglich als Diabetesmedikamente entwickelten SGLT2-Inhibitoren stellen ein neues Prinzip der Herzinsuffizienztherapie dar. In großen kontrollierten Studien mit Herzinsuffizienzpatienten mit und ohne Typ-2-Diabetes (T2D), zeigte sich, dass diese Präparate die kardiovaskuläre Todesrate und Krankenhauseinweisungen wegen einer sich verschlechternden chronischen Herzinsuffizienz um 25 % bzw. 26 % reduzieren (DAPA-HF-Studie mit Dapagliflozin und EMPEROR-Reduced-Studie mit Empagliflozin). Die beiden Substanzen sind mittlerweile in Deutschland zur Herzinsuffizienz-Therapie zugelassen. Das ist ein erheblicher Durchbruch für Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz. Beide Substanzen sind gut verträglich und sicher. „Somit sollten keine Hindernisse bestehen, die neuen Präparate auch bei Hochrisikopatienten mit Herzinsuffizienz breit einzusetzen“, so die Einschätzung des Pressesprechers der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) Prof. Dr. Michael Böhm.  Epidemiologische und Beobachtungsstudien zeigen, dass 40–50 % aller Patienten mit Herzinsuffizienz eine begleitende Niereninsuffizienz (CKD) haben und ein ebenso hoher Anteil aller CKD-Pa­tienten unter einer Herzinsuffizienz leiden (kardiorenales Syndrom, CRS). Seit Anfang der 2000er-Jahre ist ein enormer Wissenszuwachs bezüglich pathophysiologischer Schnittstellen und Risikofaktoren bei Herz-, Nieren- und Stoffwechsel-Erkrankungen zu verzeichnen. Mit der Verfügbarkeit neuer Behandlungsoptionen, die gleichzeitig mehrere Pathomechanismen an beiden Organen adressieren, rückt das CRS im klinischen Alltag zunehmend in den Fokus der Inneren Medizin.  Den Nierenschutz durch SGLT2-Inhibitoren demonstrieren Studien wie die DAPA-CKD (mit Dapagliflozin), SCORED (mit Sotagliflozin) sowie die noch laufende EMPA-Kidney-Studie (mit Em­pagliflozin). Eine aktuelle Metaanalyse aus neun Studien bestätigt konsistent die positiven Effekte einer SGLT2-Therapie bei CKD-Patienten, sowohl mit als auch ohne T2D. Dapagliflozin erhielt im Juni 2021 von der EMA eine positive Beurteilung für eine CKD-Zulassung. ARNI und MR-Antagonisten Bisher konnten mittels medikamentöser Therapie der Herzinsuffizienz (HF) nur bei HFrEF-Pa­tienten Fortschritte erzielt werden. Seit Sacubitril/Valsartan (Enestro®) zur Verfügung steht, konnten HF-Patienten mit HFrEF zusätzlich von dieser Therapie profitieren. Gleichzeitig wurde nach Ansätzen gesucht, wie mit kardio- und nephroprotektiv wirkenden Substanzen auch Patienten mit HFpEF geholfen werden kann. Auch hier besteht eine klare Korrelation zur Nierenfunktion. Wegen der vielfältigen Wirkungen der molekularen Effekte einer Neprilysin-Hemmung könnten hier ARNI eine besondere Rolle spielen. Zu den Effekten von ARNI gehört u. a. der Einfluss auf die pulmonale Hämodynamik und auf funktionelle Aspekte bei Insuffizienzvitien. Eine Metaanalyse randomisierter kontrollierter Studien ergab zudem ein sehr konsistentes Muster mit einer 30%igen relativen Risikoreduktion bei renalen Endpunkten.  Vor allem bei CRS-Patienten mit T2D kommt es oft zu einer fortschreitenden diabetischen Nierenerkrankung bis zum vollständigen Verlust der Nierenfunktion. Ein wesentlicher prognoserelevanter Faktor sind hier fibrosierende Prozesse unterschiedlicher Genese im Herz und den Nieren. Sie werden durch kombinierte Effekte hämodynamischer, inflammatorischer und fibrotischer Faktoren sowie metabolische Störungen wie einen T2D ausgelöst. Pathogenetisch kommt es zu Entzündung und Fibrose in den beiden Organen durch eine Überaktivierung des Mineralokortikoidrezeptors (MR). Eine Blockade dieser MR-Überaktivierung wie mit dem nicht steroidalen MR-Antagonisten Finerenon trägt wesentlich zu einer kardiovaskulären Protektion bei, vor allem auch zur Reduktion der CKD-Progression und Verhinderung von Endorganschäden. Es senkt bei T2D-Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion sowohl das renale als auch das kardiovaskuläre Risiko, wie in einem umfangreichen Studienprogramm gezeigt wurde. Kardiovaskuläre Prävention strukturieren und vernetzen Auch wenn Forschung und Lehre wie viele andere Bereiche Einschränkungen unterworfen waren, wurde auch in den Monaten der Pandemie intensiv an laufenden Projekten weitergearbeitet. Ein Beispiel dafür ist das vom Innovationsfond geförderte Forschungsvorhaben PräVaNet an der Berliner Charité − ein multiprofessionelles, digitales, strukturiertes, intersektoral vernetztes Programm zur Optimierung der kardiovaskulären Prävention bei Hochrisikopatienten. Hierfür arbeiten Experten der Charité mit 50 kardiologischen und diabetologischen Schwerpunktpraxen in Berlin und Brandenburg zusammen, unterstützt durch ein breites, sektorenübergreifendes Konsortium aus Fachverbänden und zusätzlichen Experten. Nach interdisziplinärer Abstimmung einer personalisierten Präventionsstrategie übernimmt eine qualifizierte medizinische Fachangestellte in den jeweiligen Praxen als sogenannte PräVaNet-Nurse die weitere Begleitung der Patienten. Im Mittelpunkt des intensivierten Versorgungsansatzes steht „ePrävention“: ein kontinuierliches Risikofaktorenmonitoring durch digitalisierte Blutdruck- und Blutzuckermessgeräte sowie eine EKG-fähige Pulsuhr, begleitet von einer individualisiert angeleiteten Umstellung von Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten. Methoden der künstlichen Intelligenz passen die jeweils eingeschlagene Präventionsstrategie zusätzlich an. Risiken für die Entstehung einer HI quantifiziert Wie stark Risikofaktoren Funktion und Leistung des Herzens beeinflussen und damit die Entwicklung einer Herzinsuffizienz befördern, hat der MD/PhD-Student Floran Sahiti vom Deutschen Zen­trum für Herzinsuffizienz (DZHI) untersucht und neue Erkenntnisse gewonnen. Es ist eines der zahlreichen aktuell am DZHI laufenden Forschungsprojekte, das zukünftig zur Verbesserung der Versorgung von Patienten mit HI beitragen kann. Er wertete Herzultraschallbilder von insgesamt 1.929 Patienten aus und setzte die Bewegung des Herzmuskels mit den Risikofaktoren des jeweiligen Studienteilnehmers in Beziehung. 77 % hatten mindestens einen Risikofaktor. „Wir können mit sogenannten pressure-strain loops die gesamte vom Herzmuskel geleistete Arbeit auf eine ganz neue Art berechnen, erklärt der Mediziner. Vorteil dieser neuen Methode ist, dass sie nicht invasiv ist. Das Ergebnis dieser Untersuchung: Alle Faktoren waren mit einer schlechteren Effizienz der Herztätigkeit assoziiert. Am eindrücklichsten war dieser Zusammenhang für den Bluthochdruck, sowohl was die Häufigkeit angeht als auch die Auswirkung. Damit leistet die wissenschaftliche Arbeit von Floran Sahiti einen wertvollen Beitrag zum grundlegenden Verständnis der Physiologie des Herzens sowie der Pathophysiologie der Herzinsuffizienz.   Palliativmedizinischer Versorgungs­bedarf bei fortgeschrittener HI Auch in der Versorgungsforschung gab es Fortschritte. In einer explorativen, interdisziplinären Pilotstudie der Herzinsuffizienzabteilung der Klinik für Kardiologie des Universitären Herzzentrums Hamburg, in Kooperation mit der Palliativmedizin der II. Medizinischen Klinik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, sollte bei stationär und ambulant behandelten Herzinsuffizienzpatienten die subjektive Symptombelastung, die subjektive psychosoziale Belastung und konsekutiv etwaiger palliativmedizinischer Handlungsbedarf prospektiv erfasst werden. Mittels eines interdisziplinären Ansatzes konnte aufgezeigt werden, dass Herzinsuffizienzpatienten in fortgeschrittenen Stadien unter einer beträchtlichen Symptombelastung und einer relevanten psychosozialen Belastung leiden. Hierdurch erfüllt eine Vielzahlt dieser Patienten, insbesondere im Rahmen einer Hospitalisierung, aus palliativmedizinischer Sicht die Kriterien für spezialisierte palliativmedizinische Unterstützung. Diese Bedürfnisse werden in der klinischen Routine derzeit nicht ausreichend erkannt oder suffizient adressiert. Entsprechende Versorgungsmodelle analog der Versorgung onkologischer Patienten sollten bereitgestellt werden.       Redaktion: Elke Klug Quellen:Pressemitteilung der Charité vom 9.2.2021Pressetext DGK 09/2019Pressemitteilung DZHI Würzburg v. 3.3.2021Virtuelles Symposium « Der kardiorenale Patient – Neue medikamentöse Therapieoptionen“ im Rahmen der 87. Jahrestagung der DGK am 7.4.2021Pressekonferenz im Rahmen der 87. Jahrestagung der DGK am 7. und 8. 4.2021Presseinformation DGK v. 22.6.2021Presseinformation DGK v. 24.6. 2021      Blogbild-Copyright: BSIP SA/Alamy Stock Foto            aus connexiplus 3-2021 Kardiorenale Achse Interdisziplinär      TITELBILD Copyright:  Science Photo Library, Shutterstock/3DStock, Shutterstock/SciePro. Gestaltung: Jens Vogelsang  
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